Isabelle
Sie wischte sich mit dem Handgelenk über die Augen und sagte: »Du machst mir ja richtig Angst.«
»Die Arbeit ist sowieso zu schwer für dich«, sagte Fons. »Das kann ruhig warten, bis Frans nach Hause kommt.« Er lehnte sich an das Geländer. »Komm lieber raus da.«
Sie stapfte mit ihren Stiefeln durch den Mist. Er streckte die Hand aus, um sie zu halten, als sie mit ihren Arbeitshandschuhen das kalte Metall des Geländers umfasste und mühsam drüberkletterte. Sie keuchte; in den letzten Wochen war es, als ginge ihr Atem immer schwerer und lauter. Sie versuchte, es zu verbergen, und spürte, wie sie gereizt wurde, weil Fons Recht hatte. Alles fiel ihr schwerer. »Ich will aber weiterhin meinen Anteil zur Arbeit beitragen, sonst falle ich euch nur noch zur Last«, sagte sie. »Ich kann euch keine Miete zahlen. Ich habe kein Geld mehr, es reicht gerade noch für zwei neue Vorderreifen. In der Werkstatt hat man mir gesagt, mit den alten würde ich demnächst noch einen Strafzettel kriegen oder einen Unfall bauen, wenn es bald anfängt zu frieren.«
»Du kannst den Wagen von Frans nehmen, das Geflügel füttern und das Treibhaus ein bisschen in Ordnung halten.«
Isabelle sah hinüber zu den Pfauen. Frans hatte endlich einen riesengroßen Auslauf gebaut, der ausreichenden Schutz vor den Füchsen bot. Die Hühner und Puten liefen darin herum, aber der Maschendraht war immer noch nicht hoch genug für die Pfauen, die dauernd darüber’ hinwegflogen und sich an den Pflänzchen im Gemüsegarten gütlich taten, wo sie eine Vorliebe für die zartesten Salatköpfe zeigten und das Unkraut geflissentlich übersahen. Sie konnte nicht mehr hinter den Vögeln herrennen. Oft saß sie einfach nur im Treibhaus, wo es behaglich warm war und sie ihrer Hüfte unter dem riesigen Kletterwein Ruhe gönnen konnte, dessen Triebe rund um das gesamte Dach rankten und dort bereits wieder üppige Seitentriebe und Blätter hervorbrachten. Fons und Frans hingen mit ganzem Herzen an diesem Wein und experimentierten andauernd damit herum. Sie versuchten ihn frühzeitig zum Blühen zu bringen, damit sie schon im Frühjahr Trauben ernten konnten.
»Und dafür kostenloses Wohnen mit Vollpension? Ich esse für zwei!« Sie hatten ihr eine kleine Tiefkühltruhe hinten in ihren Flur gestellt und sie mit Gemüse und Fleisch aus den großen Kühltruhen im Keller des Bauernhauses gefüllt. Sie hatte ständig Hunger und aß wie ein Wolf. »Wenn dein Steuerberater das hört, fragt er sich, ob du verrückt geworden bist.«
Fons zog sein Gesicht in Falten. »Ich habe keinen anderen Steuerberater außer Frans.«
»Und die ganzen Kosten, die das alles noch mit sich bringt!«
»Aber du bist doch krankenversichert?«
Isabelle seufzte. Sie wusste nicht, wie sie es ihm erklären sollte. Für sie war das hier das Paradies, aber der Haken daran war, dass sie sich allmählich immer abhängiger fühlte und den beiden gegenüber Schuldgefühle hatte.
Fons merkte natürlich, was mit ihr los war. »Wir haben dich nicht aufgenommen, um Geld zu verdienen«, sagte er gutmütig. »Das darfst du niemals vergessen. Der Fleischpreis steigt auch bestimmt bald wieder, das meint jedenfalls Frans. Wir mussten uns schon öfter nach der Decke strecken, aber zu hungern brauchten wir auf dem Hof nie.«
Isabelle zwang sich zu einem Lächeln.
Sie spürte, wie das Kind strampelte. Sie war so schwer, dass sie manchmal dachte, ein Riese wüchse in ihrem Bauch heran. Sie trug lächerlich altmodische Kleidung, weil sie nie nähen gelernt hatte. Mit ungeschickten Fingern hatte sie erst begonnen, ihre Röcke mit irgendwelchen Stoffstreifen weiter zu machen, bis Fons auf dem Speicher ein paar alte Umstandskleider von seiner Frau Gertrude entdeckt und sie ihr gegeben hatte. Sie trug dicke Pullover darüber und eine alte Armeejacke von Frans, weil es langsam kälter wurde. Dazu Wollstrümpfe mit noch einem Paar Socken zusätzlich darüber und Gummistiefel oder ein Paar hölzerne Klompen, die Frans ihr geschenkt hatte und an die sie sich erst mühsam hatte gewöhnen müssen. Sie sah aus, als hätte sie ihre Kleidung im Trödelladen in der alten Dorfschule erstanden und war keineswegs passend angezogen für jemanden, der in einem Mercedes vorfuhr.
Der Mercedes hielt neben den großen Stalltüren auf der Einfahrt zum Haus von Fons. Ein Mann in einem dunklen Jackett und Chauffeursmütze stieg aus und schaute prüfend die Hausnummer auf dem grünen Briefkasten an der Stallmauer an. Er
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