Isabelle
doch gekommen?«
Max wünschte, sie würde einmal ihre Brille absetzen. Sie war klapperdürr, eine Bohnenstange in einem teuren Kostüm aus naturweißem Leinen. Ihr Unterkiefer trat hart und mager hervor, und sie hatte breite Wangenknochen. Im Schatten ihres Hutes wirkte ihr Mund unzufrieden und ihr Teint grau.
Max begriff, dass sie ihnen keinen Tee anbieten würde, also konnte er auch genauso gut direkt zur Sache kommen. »Das Testament ist mir egal«, sagte er. »Ich untersuche den Mord an dem zweiten Erben.«
Ihre Augen hinter den dunklen Gläsern blieben unsichtbar. »Wenn Sie den Bastard meines Schwiegervaters meinen, dann sind Sie hier an der falschen Adresse.«
Max nahm sich unaufgefordert einen Stuhl. »Soweit ich weiß, war Alex Lafont kein Bastard«, sagte er. »Aber sein Tod passte Ihnen gut ins Konzept, nicht wahr? Und dann auch noch genau im richtigen Moment?«
»Ich weiß nicht, worauf Sie anspielen.«
»Ihr Notar stellt Nachforschungen an. Alex wird gefunden. Er trägt zwar inzwischen einen anderen Namen, aber es handelt sich in der Tat um Alex Lafont. Er ist kein Bastard, er hat ein Anrecht auf mindestens ein Drittel des Besitzes, und vermutlich hat er sogar ein Recht auf den Anteil seiner Schwester, eventuell aber auf mindestens fünfzig Prozent. Einen Monat, nachdem er in Friesland von Ihren Leuten gefunden wird und kurz bevor er sein Erbteil beanspruchen kann, wird er ermordet.«
Nel öffnete ein paar Knöpfe unter ihrem Mantelkragen aus billigem Kaninchenfell, setzte sich auf einen Stuhl zur anderen Seite von Christine und nahm sich ein Stück Früchtekuchen von einer Platte. »Ihr Tee wird kalt«, sagte sie.
Christine Lafont ignorierte sie. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Das ist ein natürlicher Prozess, bei Tee«, begann Nel mit vollem Mund, aber Max winkte ihr, sie solle still sein. »Was ich damit sagen will, ist, dass manchen Leuten bei den niederländischen Justizbehörden all diese glücklichen Umstände fragwürdig vorkommen.«
»Das soll mir egal sein. Wir haben nichts damit zu tun. Ich will damit nicht behaupten, dass Didier über den Tod seines Halbbruders traurig gewesen wäre, den er ja nie kennen gelernt hat. Er hätte das Testament aber auf jeden Fall angefochten und den Prozess auch gewonnen, denn es war völlig unrechtmäßig. Sein Vater hat sich sein Leben lang nicht um diese Nachkommen gekümmert. Warum hätten wir dann für sie zahlen sollen?«
»Wozu, meinen Sie, hat Ihr Schwiegervater wohl sein Testament geändert?«
Sie bewegte die Lippen, als spucke sie etwas aus. »Weil er nicht ganz richtig im Kopf war. Nach mir die Sintflut. Oder um mich zu ärgern.«
»Warum hätte er Sie ärgern wollen?«
Sie blies Luft durch die Lippen. »Das geht Sie gar nichts an. Aber er hätte auf keinen Fall seinen Willen durchsetzen können. Wir hätten alle Hebel in Bewegung gesetzt.« Es schien, als erschrecke sie vor ihren eigenen Worten. »Natürlich meine ich damit keinen Mord«, korrigierte sie sich hastig. »Wir haben über genügend juristische Mittel verfügt. Das Testament war ungültig, die geistige Gesundheit meines Schwiegervaters angegriffen, und dann diese lächerliche Heirat bei einem Schmied in Schottland – wir hätten alles anfechten können.«
Max starrte sie an. »Bei einem Schmied in Schottland?«
Christine Lafont schob ihren Stuhl nach hinten und stand auf. Sie war exakt genauso groß wie er. »Für uns ist der Fall erledigt«, sagte sie bissig. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden?«
Sie drehte sich um und ging durch die Terrassentür ins Haus. Über ihre mageren Waden zogen sich Krampfadern.
»Wow«, meinte Nel.
Max schaute sie an. Sie wusste nichts von Gretna Green. Wie Teile eines verrückten Puzzles hatten die Informationen überall in der Landschaft seines Gehirns verstreut gelegen, und jetzt fügten sie sich wie durch ein magisches Schlüsselwort zu einem Ganzen zusammen. Zwei Hochzeiten bei einem Schmied in Schottland und zwei Mütter mit ungeborenen, vaterlosen Söhnen und das in ein und demselben Fall, das wäre einfach ein zu großer Zufall gewesen.
»Was ist los?«, fragte Nel.
Max wusste nicht, was er mit seinem Wissen anfangen sollte. Er brauchte Zeit, um nachzudenken. Hier war sowieso nichts mehr zu holen. »Komm, gehen wir«, sagte er.
Am Auto blieb er stehen und legte den Arm um Nels Schulter. Er zog sie an sich und blickte an den Koniferen vorbei auf die kahlen Weinberge, wo sich noch einige rote und gelbe Blätter an den
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