Isarbrodeln
ins Rund des gut besuchten Lokals. »Und ja, wir haben etwas. Vielmehr fehlt uns was. Einer unserer besten Freunde ist heute Morgen gestorben.«
»Oh, Gott. Das ist ja schrecklich.« Mitfühlend legte sie ihre Hand auf seinen Unterarm. Er registrierte es, und es war ihm nicht unangenehm. »Wie ist das denn passiert?«, fragte sie.
»Wir wissen es noch nicht genau. Aber so wie es aussieht, wurde er umgebracht.« Er sah ihr flüchtig in die Augen.
»Ach, du liebes bisschen!«
»Ja, schlimme Sache.« Er nickte langsam und trank einen Schluck Bier.
»Ein Freund von mir hat sich vor fünf Jahren in Hamburg vom Hochhaus gestürzt. Man ist regelrecht traumatisiert nach so was.« Sie blickte nachdenklich in die Flamme der dicken roten Kerze in der Mitte des Tisches.
»Stimmt! Das ist man.« Max hatte bei der Polizei jahrelang gelernt, den Tod als Bestandteil des Lebens zu akzeptieren. Nicht mehr und nicht weniger. Aber heute fiel es ihm schon den ganzen Tag lang unendlich schwer, die Gedanken an seinen ermordeten Freund bleiben zu lassen. Andauernd blitzte die Szene von heute Vormittag im ›Da Giovanni‹ wieder vor seinen Augen auf.
»Du sagst das so, als wüsstest du mehr darüber«, stellte sie mit leiser Neugier in der Stimme fest.
»Ich war Polizist. Bei der Kripo. Wir hatten es da auch mit Mord und sonstigen Gewaltverbrechen zu tun.«
»Oh. Das erklärt natürlich alles.« Sie nahm schnell ihre Hand von seinem Arm und rückte ein Stück weit von ihm weg.
»Hab ich was Falsches gesagt?« Er zog die Brauen hoch und sah sie verwirrt an.
»Nein, nein. Hast du nicht, äh … Max. Richtig? Es ist nur so … mein Exmann war auch Polizist. Und wenn ich ganz ehrlich bin, war er, mit Verlaub gesagt, ein richtiges Arschloch.« Sie blickte schlagartig angewidert drein, als sie das sagte.
»Max ist schon richtig, Annika. Und wenn dein Ex ein Arschloch war, tut mir das leid für dich. Aber nicht alle Polizisten sind gleich. Oder sollte ich da irgendwas nicht mitbekommen haben in den letzten zwanzig Jahren?«, erwiderte Max.
Der deutlich gereizte Unterton in seiner Stimme war pure Absicht. Er hatte nicht die geringste Lust, sich nach dem ganzen Stress mit Giovannis Tod jetzt auch noch von irgendeiner dahergelaufenen Blonden aus dem Norden wegen seines früheren Jobs blöd anreden zu lassen.
»So habe ich das nicht gemeint. Natürlich ist jeder Mensch anders.« Sie klang spröde. Nach innerer Abwehrhaltung. Doch immerhin legte sie versöhnlich ihre Hand auf seinen Arm zurück.
»Also sind doch nicht alle Polizisten böse Ungeheuer und Arschlöcher?«, fragte er. Herrschaftszeiten. Was fällt der Schnepfe überhaupt ein, so einen Schmarrn daherzureden. Er war angefressen. Und wenn er einmal angefressen war, gab es normalerweise so schnell kein Zurück mehr.
»Natürlich nicht«, antwortete sie. »Entschuldige. Dumm von mir, dich mit meinem Mist von früher zu belästigen. Ausgerechnet an einem Tag, an dem es dir selbst nicht gut geht. Das wollte ich nicht. Außerdem kenne ich dich ja gar nicht.« Sie sah ihn lange an.
Na gut. Ausnahmsweise verzeihe ich ihr noch mal, dachte Max, der ihrem Blick standhielt. Sie scheint nicht zu lügen. Es tut ihr offensichtlich wirklich leid. Und schließlich haben wir alle unsere Päckchen zu tragen. Ihre Hand auf meinem Arm fühlt sich gut an. Außerdem hat sie wirklich schöne, blaue Augen. Und auch sonst ist sie nicht ohne. Da könnte man glatt romantische Gefühle bekommen, wenn heute nicht so ein trauriger Tag wäre. Vielleicht kann man sich ja noch mal wiedersehen. Wenn sie sowieso die ganze Woche hier auf ihrer Schulung ist … Oder besser doch nicht. Im Moment gibt es Wichtigeres. Giovannis Mörder erwischen zum Beispiel.
Nach zwei weiteren Bieren hatte er endgültig genug getrunken. Er wollte nur noch nach Hause ins Bett. Annika schrieb ihm ihre Handynummer auf und drückte ihm den kleinen Zettel, den sie sich zu diesem Zweck von Rosi hatte geben lassen, zum Abschied in die Hand.
»Ein Wiedersehen würde mich freuen«, las er auf der Rückseite. Er steckte ihn kommentarlos in seine Gesäßtasche und stand auf. »Mal sehen«, lallte er, stellte sich, so gut es ging, gerade hin und wankte zur Tür hinaus.
Draußen hielt er einen Moment lang inne und atmete tief durch. Hoffentlich erlebe ich den morgigen Tag überhaupt, dachte er. Zur Sicherheit trinke ich zu Hause gleich mal ein großes Glas Wasser mit Magnesium. Nicht, dass mich der Herzinfarkt noch im Schlaf dahinrafft.
Weitere Kostenlose Bücher