Isarbrodeln
heim und mich umziehen. Oder ziehe ich gleich eine schwarze Jeans und ein weißes Hemd an? Und die schwarze Lederjacke drüber? Blaue Jeans gehen ja wohl auf keinen Fall. Und wenn ich statt des weißen Hemdes lieber ein leichtes, dunkles Sweatshirt nehme? Dann erkälte ich mich auf jeden Fall nicht auf dem Floß. Schließlich ist es immer noch reichlich kühl draußen.
Normalerweise musste er in Punkto Kleiderordnung nicht lange überlegen. Er nahm einfach irgendetwas aus dem Schrank und zog es über. Aber zu einem solch offiziellen Anlass sollte man schon im richtigen Outfit antreten. Er entschied sich für die neue schwarze Lederjacke, dunkles Sweatshirt und schwarze Jeans. Und dazu seine schwarzen Halbschuhe mit der dicken Profilsohle. Jawohl. Damit wäre er bei der Beerdigung passend gekleidet und auf der anschließenden Floßfahrt gegen alle Launen des wechselhaften Frühlingswetters gewappnet. Giovanni hätte er so sicher auch gefallen.
Er streifte seine ausgewaschene Jeansjacke über, ging hinaus und läutete an der Tür seiner Nachbarn. »Es kann losgehen, Frau Bauer!«, rief er, noch bevor jemand öffnen konnte.
»Komme gleich!«, hörte er ihre Stimme von drinnen.
Zwei Minuten später stand sie fein herausgeputzt in ihrem guten, dunkelblauen Mantel mit einem feschen, grauen Leinenhut auf dem Kopf vor ihm. Auf dem Parkplatz vor dem Haus sperrte er seinen guten, alten R4 auf, half ihr in den Beifahrersitz und schnallte sie an.
»Vielen Dank, noch mal, Herr Raintaler«, sagte sie dabei und lächelte ihm liebenswürdig zu.
Sie muss früher einmal eine wahre Schönheit gewesen sein, dachte Max, so attraktiv, wie sie heute noch in ihrem hohen Alter aussieht. Dann entdeckte er vor dem Einsteigen den kleinen Zettel, der auf der Fahrerseite unter den Scheibenwischer geklemmt war.
»Scheißgebrauchtwagenhändler!«, meckerte er und nahm ihn an sich, um zu lesen, wer von diesen aufdringlichen Zeitgenossen ihn jetzt schon wieder mit seiner Werbung belästigte.
›Wir wissen, wo du wohnst‹, stand in krakeliger Schrift darauf.
Wer macht denn so was? Die Lucabrüder? Oder die Ganoven aus der ›Bar Verona‹ von gestern? Sind die mir etwa gefolgt? Herrschaftszeiten. Holzauge sei wachsam. Er verpackte das Papier in eine alte Einkaufsliste und steckte es in seine Brieftasche. Vielleicht findet die Spusi auf dem Revier ein paar Fingerabdrücke darauf. Wer weiß? Aber bestimmt waren es sowieso bloß Kinder aus der Nachbarschaft, die mir einen Streich spielen wollten.
»So, Frau Bauer. Und wo fahren wir jetzt hin?«, fragte er, als er kurz darauf ebenfalls im Wagen saß.
»Nach Gauting.«
»Wie bitte?« Ich habe mich wohl verhört.
»Nach Gauting. Ich muss da zu einem Spezialisten.«
»Also nicht zu ihrem Hausarzt gleich in Harlaching oben?« Nach Gauting. Und das sagt sie mir natürlich erst im Auto. Na super. Jetzt dreht sie langsam durch.
»Nein, die paar Meter hätte ich ja auch mit dem Bus fahren können. Ich muss nach Gauting zu einem Lungenspezialisten, hat mein Doktor gesagt. Hier schauen Sie. Der Überweisungsschein.«
»Ja, fehlt Ihnen denn was an der Lunge?«
»Weiß ich nicht. Und mein Arzt anscheinend auch nicht. Deswegen soll ich da ja hin.«
»Aber Gauting ist ein ganzes Eck weit entfernt.« Er deutete mit seiner rechten Hand irgendwo südwestlich in den weiß-blauen Himmel über ihnen.
»Wirklich? Wie weit ist es denn?«
»Na, eine gute Stunde brauchen wir da schon. Vor allem, weil auf der Autobahn zurzeit eine große Baustelle ist.«
Herrschaftszeiten. Muss das heute auch noch sein? Als hätte ich nicht schon genug Stress an der Backe. Er runzelte unwillig die Stirn.
»Dann unternehmen wir halt eine schöne Spazierfahrt.« Frau Bauer stopfte die Überweisung in ihre Handtasche zurück und setzte einen entschlossenen Blick auf.
»Na gut. Dann soll es halt so sein«, murmelte Max und fuhr innerlich leicht grollend los. Die Chuzpe von der Bauer sollte man echt selbst haben. Lässt die sich doch glatt einfach mal eben so von dir um die halbe Welt fahren. Und den Sprit sollst du natürlich auch noch zahlen. Klar. Und das alles, während du eigentlich einen Fall zu lösen hast. Herrschaftszeiten.
Als sie auf die Lindauer Autobahn eingebogen waren, kamen sie gerade mal zweihundert Meter weit, dann stoppte der Verkehr. Stau. Nichts ging mehr. Alle stellten ihre Motoren ab. Max mochte keinen Stau. Um genau zu sein, hasste er nichts im Leben so sehr wie Stau. Egal wo, egal wann. Stau war sein
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