Isarbrodeln
protestierte Clara.
»Na klar! Espresso für unsere Südländerin. Dann gehe ich mal rein und schaue, ob ich eine Kellnerin auftreibe.« Anneliese setzte ihren Hut ab und verschwand durch die offenstehende Terrassentür hinter der breiten Glasfront des beliebten Ausflugslokals. Zwei Minuten später kehrte sie wieder zurück und setzte sich.
»Alles erledigt«, verkündete sie händereibend. »Unsere Bestellung ist aufgegeben. Ist es nicht fantastisch hier?«
»Super«, entgegnete ihr Monika. »So könnte das Leben immer sein. Sonne, Kaffee, Kuchen und nette Leute mit guter Laune um einen herum. Fast so perfekt wie im Werbefernsehen.«
»Giovanni und ich waren nie in diesem Café«, meinte Clara leise. »Es ist wirklich schön. Wie liebevoll die Terrasse hergerichtet ist, mit den ganzen Blumen. Wirklich schön. Es hätte ihm bestimmt gefallen. Und morgen ist sein Begräbnis. Ach, mein Gott!« Sie begann zu weinen. Monika, die rechts neben ihr saß, nahm sie in den Arm.
»Das ist jetzt eine schwere Zeit für dich«, redete sie tröstend auf sie ein. »Aber schon in ein paar Wochen wird es dir wieder besser gehen. Glaube mir, Clara. Den Giovanni kann uns zwar keiner mehr zurückholen. Aber sicher sieht er uns vom Himmel aus zu. Und sicher hat er dich auch von dort oben aus noch genauso lieb wie vorher hier unten.«
»Ach, wäre der ganze Trubel doch nur schon vorbei. Die vielen Leute und dann auch noch die Floßfahrt. Ich bin wirklich froh, dass Georg mir so viel hilft. Er holt mich übrigens nachher ab. Ich muss noch einmal kurz zum Beerdigungsinstitut, wegen der Blumenarrangements. Und dann kommen später auch noch meine Eltern. Papa will Max und der Polizei unbedingt dabei helfen, den Mörder zu erwischen.« Clara stöhnte, in Hinblick auf die Aufgaben, die alle noch vor ihr lagen, auf.
»Ach, wirklich? Soweit ich weiß, arbeitet Max grundsätzlich alleine. Höchstens zusammen mit Franzi.« Monika kannte ihren eigenwilligen Teilzeitlebensgefährten lange genug, um zu wissen, dass der eine Einmischung in seine Arbeit niemals dulden würde. Schon gar nicht von jemandem, den er nicht kannte. Egal. Man würde sehen.
»Weiß ich doch«, entgegnete Clara. »Aber Papa meint es bestimmt nur gut. Er will halt helfen. Und er kennt wirklich sehr viele Leute.«
Monika wusste, dass Claras Vater sehr gute Verbindungen zur Mafia hatte. Clara hatte es ihr einmal unter dem Siegel der absoluten Verschwiegenheit anvertraut. Und natürlich würde sie es nicht mal Anneliese oder Max weitererzählen. Es gibt Dinge, die behält man für sich, sagte sie sich. Und hielt sich dran.
»Hauptsache, deine Eltern sind da und stehen dir zur Seite.« Anneliese, die links von Clara saß, tätschelte ihr aufmunternd die Hand. »Ach! Unser Kaffee und der Apfelstrudel«, fügte sie gleich darauf hinzu. »Oh, mein Gott. Schaut euch doch nur mal diese riesigen Portionen an. Wer soll denn das alles essen?«
Die drei Teller waren voll bis zum Rand.
»Ein Traum!«, rief Monika.
»Unwiderstehlich! Wahnsinn!«, freute sich Anneliese.
»Meine Figur!«, stöhnte Clara und alle drei mussten lachen.
Endlich lacht Clara mal wieder, auch wenn ihr nicht danach ist, dachte Monika. Der Tod ihrer eigenen Mutter vor vier Jahren kam ihr in den Sinn. Sie war damals mit dreiundsiebzig Jahren viel zu jung gestorben. War nie krank gewesen. Ihr ganzes Leben lang nicht. Hatte nur einen einzigen Fehler begangen. Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Ein betrunkener Autofahrer hatte sie vom Gehsteig geholt und meterweit durch die Luft geschleudert. Das Leben ist nicht gerecht, hatte Monika damals zu Max gesagt. Die gemeinsten, gewalttätigsten Schweine, die alle anderen nur betrügen und ausnützen, werden uralt. Und die liebevollsten Menschen, wie meine Mutter, müssen viel zu früh gehen. Max hatte ihr damals sehr dabei geholfen, mit ihrer Trauer und ihrer Wut fertig zu werden. Obwohl es ihm selbst auch nicht gerade besonders gut ging. Nur ein knappes Jahr zuvor hatte er nahezu dasselbe erlebt. Nur noch etwas schlimmer. Seine beiden Eltern waren ums Leben gekommen. Ebenfalls bei einem Autounfall. Ausgerechnet auf der Fahrt in den Urlaub.
Monika hatte wenigstens immer noch ihren Vater. Er lebte heute in einem netten Seniorenstift, nicht weit von ihrer kleinen Kneipe entfernt. Sie besuchte ihn, so oft sie konnte. Und er kam gelegentlich auch in ihrem Lokal vorbei. Ihr Verhältnis war nicht das Innigste. Aber sie mochten sich und respektierten sich.
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