Isau, Ralf - Neschan 03
einem längeren Gespräch unter vier Augen – widerstrebend und unter Tränen – bereit Yonathan ziehen zu lassen. Er musste ihr aber versprechen, nach seiner Rückkehr ernsthaft die Möglichkeit einer Heirat in Erwägung zu ziehen. Sein Argument, dass sie beide für derartige »Ernsthaftigkeiten« wohl noch etwas zu jung seien, wischte Bithya mit der Bemerkung beiseite: »Du bist der siebte Richter von Neschan. Wenn du der Hirte für eine ganze Welt sein willst, dann wirst du doch wohl auch eine einzige schwache Frau schützen können, oder?«
»Auf das Wort ›schwach‹ würde ich verzichten«, murrte Yonathan, brachte sonst aber keinen weiteren Einwand vor.
Beim Krönungsmahl strahlte Bithya würdige Gelassenheit aus, ganz die reife, erfahrene Frau – eine Rolle, die zu ihrem zarten, jugendlichen Erscheinungsbild schwer passen wollte. Wenn Gurgi ihr ein Beutestück zutrug, empfing sie das Masch-Masch-Weibchen mit nachsichtigem Lächeln, und wenn Aischa einmal nicht Felin anstarrte oder dem kleinen Pelztier hinterherjagte, übte Bithya an ihr mütterliche Fürsorglichkeit. Sie wusste das Pfand sicher, ihr schweres Herz war eine andere Sache.
Durch den Verzicht der beiden Frauen stand ein Transportsack zur freien Verfügung und Yomi war derjenige, der auf eigenes Drängen hin als Passagier nachrückte. Noch an Yonathans Bett hatte er die ganze Angelegenheit in wenigen Worten auf den Punkt gebracht.
»Du willst ins Verborgene Land und außer dir kenne nur ich mich dort aus. Du brauchst mich also unheimlich dringend.«
Eigentlich freute sich Yonathan ja über den Eifer seines alten Freundes, trotz aller Gefahren, die mit dieser Reise verbunden waren. Nach außen hin zeigte er sich aber bestenfalls verhandlungsbereit.
»Ich nehme dich nur mit, wenn du mir eine Bitte erfüllst.«
»Es gibt ziemlich wenig, was ich von mir aus tun kann. An was hattest du denn gedacht?«
»Überrede deinen Vater, dass er so bald wie möglich mit der Weltwind zur Westküste des Verborgenen Landes aufbricht.«
Yomi runzelte die Stirn. »Und wozu soll das gut sein?«
»Ich möchte, dass er uns dort an Bord nimmt.«
»Findest du nicht, dass es unheimlich ungenau ist, ihn einfach nur an die Westküste zu bestellen?«
»Wenn du ihn fragst, kannst du gleich eine Seekarte besorgen. Ich zeige dir dann, wo er ankern soll.«
Skepsis stand im Gesicht des fünfundzwanzigjährigen Seemanns. »Es dürfte ziemlich schwierig sein, das Verborgene Land an der Stelle zu verlassen, wo wir es beabsichtigen. Ich muss dich nicht an die sieben Wächter erinnern.«
»Du hast Recht. Ich glaube, ich kenne eine Möglichkeit, wie wir die Weltwind finden können – oder besser, wie sie uns finden wird. Aber darüber lass uns später sprechen, wenn Kaldek dabei ist.«
Yomis Adoptivvater hatte die Vorschläge Yonathans als »reichlich haarsträubend« befunden, da sie aber vom siebten Richter unterbreitet worden waren, willigte er schließlich ein.
Das Essen zu Ehren des jungen Kaisers endete mit einigen »Planungen zur weiteren Verfahrensweise im Hinblick auf das temánahische Heer«. Der Herzog von Doldoban hatte schon entsprechende Vorschläge ausgearbeitet und berichtete vom aktuellen Stand der Kämpfe.
»Nachdem Geschan das Auge Bar-Hazzats ausgeschaltet hatte, brachen die Streitkräfte des Südreiches auseinander wie eine durchgerostete Rüstung. Die Angreifer schrien zunächst und wälzten sich auf dem Boden, dann flüchteten sie in alle Himmelsrichtungen. Diejenigen, die nicht im Cedan ertrunken oder in den Sümpfen versunken sind, haben jetzt unsere Truppen im Nacken. Es ist erstaunlich, wie viel Energie Bomas’ Männer noch aufbringen können, um die Verfolger der letzten Wochen jetzt selbst durchs Land zu hetzen.«
»Setzt ihnen weiter nach«, wies Felin den Herzog an. »Wir dürfen ihnen keine Ruhe gönnen. Zu oft schon hat sich das Heer Temánahs von einer Niederlage erholt, die wir ihm zufügten, nur um nachher mit umso größerer Macht wieder gegen uns anzurennen. Ich sage es nicht gern, aber wir müssen ein für allemal verhindern, dass so etwas wieder geschehen kann. Wie denkt der Richter darüber? Bin ich zu hart?« Felin blickte zu Yonathan hinüber.
Der schüttelte ernst den Kopf. Es fiel ihm schwer die Wahrheit auszusprechen. »Manche Geschwüre muss man restlos herausschneiden, weil sie sonst den ganzen Organismus vergiften.
Temánahs Saat ist von Grund auf böse, das haben wir alle schmerzlich erfahren müssen. Ich habe den
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