Isau, Ralf - Neschan 03
auf das Versteck der Freunde, die sich dadurch ertappt fühlten.
Einen Augenblick später war das schweigsame Wesen vorbei. Sie hatten gerade noch erkennen können, dass die Schnecke nicht auf einer Schleimspur vorwärts glitt, sondern über Hunderte kleiner Fortsätze verfügte, die sie wie ein Tausendfüßler zur Fortbewegung einsetzte – sie verursachten das trommelnde Geräusch. Das ovale Schneckenhaus wirkte, trotz seiner imponierenden Größe, viel zu klein für den langen, massigen Körper. Im oberen Bereich befanden sich mehrere Löcher, die an offen stehende Fenster erinnerten. Für weitere Betrachtungen blieb keine Zeit mehr; das friedliche Wesen war wieder in das Grün des Regenwaldes eingetaucht, wie ein Schiff, das geräuschlos im Nebel verschwindet.
Bis auf diese sonderbare Begegnung, verlief die Wanderung der drei Freunde völlig ereignislos. Jeden Morgen brach man früh auf, tagsüber erklomm Yomi zwei-, dreimal hohe Bäume, um nach dem Südkammgebirge Ausschau zu halten und abends rollte man sich erschöpft in die feuchten Decken. Yonathan achtete darauf, dass der Abstand zum südlichen Grenzgebirge des Verborgenen Landes nicht zu groß wurde, weil die weißen Gipfel den einzigen Orientierungspunkt in diesem grünen Meer darstellten. Unter der geschlossenen grauen Wolkendecke ließ sich nicht einmal der Stand der Sonne feststellen. Andererseits durften sie den Bergen aber auch nicht zu nahe kommen, da sie sonst die in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Täler quer durchwandern müssten, was anstrengend gewesen wäre und eine unnötige Zeitverzögerung mit sich gebracht hätte.
Nach sechs Tagen begann sich sogar der Regen in ihren festen Tagesablauf einzupassen: Regelmäßig zwei Stunden vor Sonnenuntergang brach er stürmisch los, weichte die Wanderer etwa eine Stunde lang auf und setzte dann bis zum darauffolgenden Nachmittag aus. Nach neun Tagen endlich sprach Yonathan die erlösenden Worte.
»Heute werden wir uns südlicher halten.«
Gimbar reagierte sofort. »Warum diese plötzliche Richtungsänderung? Ich hatte mich schon so daran gewöhnt, immer stur geradeaus zu laufen.«
»Yomis letzte Beschreibung der Gebirgsformation im Süden lässt darauf schließen, dass wir uns unmittelbar vor unserem Ziel befinden.«
»Woher willst du das so genau wissen? Nur, weil Yo etwas von einigen Bergspitzen erzählte?«
»Der Stab Haschevet hat ein bisschen mitgeholfen«, gab Yonathan zu. »Dadurch habe ich immer eine sehr genaue Vorstellung von dem, was unser Eichhörnchen hier bei seinen Kletterausflügen sieht.« Er schenkte Yomi ein Lächeln und hob wie zur Entschuldigung die Schultern. »Außerdem kann ich das, was du von da oben erspähst, durch die Kraft der vollkommenen Erinnerung mit dem vergleichen, was wir damals mit Din-Mikkith erlebt haben.«
»Schon gut«, sagte der schlaksige Seemann. »Ich fühle mich nicht belauscht. Inzwischen weiß ich ja, dass du mir meine Gedanken lässt, wenn du mir mit deinem Stab den Kopf umrührst.«
»Werden wir morgen schon den Glühenden Berg erreichen?«, erkundigte sich Gimbar.
Yonathan schüttelte den Kopf. »Nein. Wir werden uns dem Vulkan nicht von Norden, sondern von Süden her nähern. Also müssen wir noch einen kleinen Umweg in Kauf nehmen. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Unter anderem hoffe ich, dass, wer immer Bar-Hazzats Auge bewachen mag, uns am wenigsten aus dieser Richtung erwartet.«
»Was bringt dich auf den Gedanken?«
»Es ist ziemlich schwierig das Verborgene Land durch das Tor im Süden zu betreten.«
Gimbar nickte. »Ich verstehe. Am Tage würde man sich die Nasenspitze verbrennen…«
»Was für dich eine unheimliche Behinderung wäre!«, mischte sich Yomi ein.
Gimbar erteilte ihm einen strafenden Blick, bevor er weitersprach: »… und bei Nacht ist der Eingang durch einen gefrorenen Wasserfall verschlossen. – Meinst du, deine Taktik wird ausreichen, um den Wächter zu überlisten?«
»Nach allen Schwierigkeiten, die uns die bisherigen Hüter von Bar-Hazzats Augen gemacht haben, glaube ich nicht, dass wir darauf setzen sollten. Nein, es gibt noch einen anderen Grund, warum ich den Karminstein von Süden her angehen will. Wir werden die Nacht vor dem Angriff in einer Höhle verbringen, die dem Berg ziemlich nahe ist, ohne dass wir dort gesehen werden können.«
»Du meinst die Höhle, in der ihr damals vor dem Vulkanausbruch Schutz gefunden habt?«
»Genau die.«
Gimbar gab sich mit der Erklärung zufrieden, was Yonathan
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