Isau, Ralf - Neschan 03
die richtige Antwort«, bedauerte Yonathan.
»Es gibt nichts, das dem Feuer eines Drachen standhielte«, ereiferte sich Garmok. »Und schon gar nichts, das wie Schnee und Eis ist.«
»Es gibt etwas«, widersprach Yonathan.
Die Hitze in Garmok stieg an. Gedankenbilder des Drachen überschwemmten Yonathan. Szenen aus vielen Jahrhunderten streiften seinen Geist. Dann wurde die Flut der Erinnerungen schwächer, bis sie schließlich ganz versiegte. Garmok sprach leise, fast flehend. »Bitte, verrate es mir! Nimm den roten Stein, wenn es sein muss, aber sage mir, was dieses weiße Etwas ist.«
»Du gibst dich also geschlagen?«
»Ja doch!«, fauchte Garmok und einige kleinere Flammen entwichen seinen Nasenlöchern.
Es war höchste Zeit den Drachen von seiner Anspannung zu erlösen. Yonathan nahm den langen Holzkasten von der Schulter und legte ihn auf den felsigen Höhlenboden. Dabei achtete er peinlich darauf, weder den Stab aus der Hand zu legen noch den Hausherren aus den Augen zu lassen.
Langsam öffnete er die Wurzelholzkassette, holte eine der beiden verbliebenen Rosen heraus und schloss das Behältnis sofort wieder. Erst als der Kasten wieder über Yonathans Schulter hing, hob er die weiße Rose in die Höhe und verkündete feierlich: »Als Hüter von Aschereis Rosenstock übergebe ich dir diese Blüte. Von nun an ist sie dein, bis dass du sie aus freiem Willen einem anderen gibst, es sei denn, du stürbest zuvor.«
Garmok starrte eine geraume Weile sprachlos auf die Rose in Yonathans Hand. Die Blüte war so rein, dass selbst das karminrote Glühen des Steines auf ihr keinen Widerschein fand. In den Augen des Drachen brannte ein gefährliches Feuer.
»Das ist eine Rose«, sagte er schließlich sehr langsam. In seiner Stimme lag Überraschung, aber auch Bewunderung.
»Du kennst dich also auch in der Pflanzenwelt aus.«
»Ich habe zwar wirklich noch nie eine Rose gesehen, die vom Stiel, über die Dornen und Blätter bis hin zur Blüte so makellos wie frisch gefallener Schnee ist, aber du willst mir doch wohl nicht weismachen, sie allein sei schon des Rätsels Lösung?«
Yonathan verzichtete auf eine Erwiderung und suchte sich, indem er vorsichtig rückwärts ging ohne dabei den Drachen aus dem Blick zu verlieren, einen passenden Riss im Höhlenboden und steckte den Stiel der Rose hinein. Dann entfernte er sich von der Blüte und rief Garmok zu: »Prüfe selbst, ob das Rätsel wahr ist und die weiße Rose deinem Atem standhalten kann.«
Der Drache schien unschlüssig zu sein. Mehrmals wechselten die glühenden Augen zwischen dem jungen Richter und der weißen Rose hin und her. Lohnte es überhaupt seinen Atem an dieses winzige vergängliche Ding zu verschwenden?
»Was ist?«, rief Yonathan noch einmal. »Hast du Angst deinen Teil der Abmachung zu erfüllen?«
Die Antwort des Drachen kam unverzüglich und fiel heftig aus. »Garmok fürchtet sich niemals, Menschlein!«
Ohne weiter auf Yonathan zu achten richtete sich das gigantische Schuppentier zu seiner vollen Größe auf und holte tief Luft. Yonathan trat instinktiv noch ein paar Schritte zurück. Dann schossen zwei blauweiße Feuerstöße aus den Nasenlöchern des Drachen hervor und tauchten Aschereis Rose in ein gleißendes Licht.
Erstaunt beobachtete Yonathan, dass die Umrisse der zarten Blume inmitten der sengenden Glut weiterhin sichtbar blieben. Der Drache spuckte Feuer, was das Zeug hielt. Sein Atem war erstaunlich lang, aber schließlich wurden die Feuerzungen doch schwächer und kürzer, das Weiß und Blau der Flammen ging in Gelb über, schließlich versiegten sie ganz. Dann herrschte tiefe Stille.
Yonathan gab sich alle Mühe nicht vor Freude laut loszuschreien. Aschereis Rose stand völlig unversehrt da, wo er sie hingesteckt hatte. Mit wenigen schnellen Schritten kehrte er an seinen alten Platz zurück: dicht vor dem Drachen und nah bei dem flammenden Auge Bar-Hazzats.
Die schützende Aura, mit der Yonathan sich umgeben hatte, strahlte nun intensiver. Es war die Herausforderung des Stabes an das Auge und dieses schien zu schreien – wenn auch kein menschliches Ohr diesen Klageruf hören konnte –, sein Glühen wurde immer heller.
»Nun nimm die Rose«, sagte Yonathan ruhig. »So war es abgemacht. Und lass mir den Stein.«
Der Drache bewegte sich nicht. Er schien wieder zu einem Felsbrocken geworden zu sein. In seinem Kopf formte sich ein Gedanke, wuchs wie ein böses Geschwür und begann auch den letzten freien Willen zu ersticken,
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