Isau, Ralf - Neschan 03
einsetzen – selbst gegen einen Hüter von Bar-Hazzats Auge nicht. Nach außen hin zeigte er sich unbeeindruckt.
»Du weißt also, dass dies der Stab der Richter Neschans ist…«
»… und dass du Geschan, der siebte Richter, bist«, fiel ihm Garmok ins Wort.
»Wie es scheint, weißt du alles.«
Der Drachenkopf, von der Größe eines ausgewachsenen Ochsen, senkte sich bedrohlich tief zu Yonathan herab. »Es scheint nicht nur so. Drachen sind die klügsten Wesen Neschans. Sie wissen tatsächlich alles.«
Yonathan wich den Augen des Drachen aus. »Niemand weiß alles«, widersprach er.
Garmok schnaubte. »Das Gerede eines Menschleins! Selbst dem Leben von euch Richtern fehlt die Dauer für das Lernen dessen, was mich meine Mutter lehrte, bevor ich flügge wurde. Heute bin ich steinalt.«
»Das glaube ich auf Anhieb.«
»Dein Geplapper ist mir Langeweile, Geschan. Was fangen wir beide nun miteinander an? Wenn es sein muss, kann ich die nächsten tausend Jahre hier sitzen und beobachten, was du tust. So viel Zeit bleibt dir nicht.«
Yonathan spürte, dass Garmok log, in irgendeiner Hinsicht. »Lass mich das Auge zerstören, dann hast du deinen Frieden«, schlug er vor.
Der Drache lachte – ein erschreckend heftiges Geräusch, in dessen Folge der Staub aus den Ritzen und Spalten der Höhlenwände rieselte. »Meinen Schatz?«, fragte er – jetzt bedrohlich ernst – mit einer Stimme wie fernes Donnergrollen. »Die Liebe der Drachen gehört den kostbaren Steinen. Aber keiner ist wie dieser. Du wirst ihn niemals dein Eigen nennen.«
»Du irrst. Es gibt noch fünf weitere. Und ich werde sie alle bekommen.«
»Das Irren ist auf deiner Seite, Menschlein. Die sechs Augen erfüllen zwar die gleiche Aufgabe, aber jeder ist auf seine Weise einzigartig, so wie auch deren Hüter einzigartig sind. Siehst du jetzt ein, dass ich mir meinen Schatz von niemandem rauben lasse?«
So kommen wir nicht weiter, dachte Yonathan. »Vielleicht würdest du ihn ja für etwas anderes hergeben«, warf er beiläufig ein.
Garmoks Kopf rückte näher. »Gibt es Wertvolleres als das Auge?«
»Ich denke, du weißt alles?«
Der Kopf fuhr wieder zurück. »Solches Wissen ist müßig. In euren Köpfen entstehen wirre Gedanken zu Fragen, über die nur Yehwoh Kenntnis besitzt. Aber alle wirklichen Dinge kenne ich wohl.«
»Und wenn ich ein Rätsel wüsste, dessen Lösung dir unbekannt ist?«
Zum ersten Mal wirkte Garmok unsicher. Er überlegte – in seiner Bewegungslosigkeit wieder einem Stein ähnlicher als einem lebendigen Wesen. »Du sprichst über ein Rätsel von etwas Wirklichem?«, hakte er nach.
»Es ist so real, dass du es berühren kannst.«
Garmok verfiel erneut in eine nachdenkliche Starre und Yonathan spürte, dass sich in dem Drachen die Wissbegier regte. »Ich, der siebte Richter Neschans, gebe dir mein Wort, dass du es sogar besitzen wirst«, schürte Yonathan das Feuer der Neugierde. »Aber solltest du das Rätsel nicht lösen können, musst du mir das Auge Bar-Hazzats überlassen.«
»Im anderen Falle gehören beide Schätze mir?«
»So ist es.«
Das Verlangen ließ Garmoks Schwanzspitze zittern, seine Krallen schabten nervös über den Felsboden. Yonathan hätte ihm gern in die Augen geblickt, um das Spiegelbild dieses Hungers zu sehen. Anscheinend wurde jedes Begehren in der Nähe des roten Auges zu einer unwiderstehlichen Versuchung. Doch er zwang sich, nicht selbst diesem gefährlichen Wunsch nachzugeben.
»Und wenn Betrug deine Absicht ist?« Garmok blieb argwöhnisch. »Ich gebe dir meinen Schatz und du bietest mir Wertloses dafür?«
»Kann etwas ohne Wert sein, das sich bis jetzt dem Forschen der Drachen entzogen hat?«
»Es sei«, sagte Garmok. Seine tiefe Stimme klang gehetzt. »Ich will es haben. Nenne mir dein Rätsel.«
»Und unsere Abmachung gilt?«
»Mein Wort steht dafür ein. Wie lautet das Rätsel?« Das Kratzen der Krallen wurde heftiger.
»Später gibt es kein Zurück mehr.«
»Weck nicht das Feuer in mir und stell endlich die Frage!«
Darauf wollte es Yonathan dann doch nicht ankommen lassen, zumal er spürte, dass die Nerven des riesigen Wesens wirklich zum Zerreißen gespannt waren.
»Höre nun das Rätsel«, begann er so ruhig, wie es ihm möglich war. »Was ist schöner als eine Eisblume, weißer als Schnee und kann dennoch dem Atem eines Drachen standhalten?«
»Ha!«, rief Garmok. »Nur ein anderer Drache. Das war eine Einfachheit. Dein Schatz gehört mir.«
»Leider ist es nicht
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