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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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vorgetragen hatte, erklärte sie ihm, was für ein viel beschäftigter Mann Doktor Windig sei, und stimmte den unangemeldeten Besucher auf eine längere Wartezeit ein.
    Bereits nach zweieinhalb Stunden wurde Karl vorgelassen. Das Büro des Notars war ein opulentes Arrangement aus Nussbaum, Messing, Plüsch und prall gefüllten Aktendeckeln. Der Herrscher über dieses Refugium für Testamente und andere Willenserklärungen spielte in der gleichen Altersklasse wie seine Vorzimmerdame. Er hatte volles braunes Haar, eine aufrechte Haltung und einen Schmerbauch, den er aber geschickt mit einem offenbar maßgeschneiderten Anzug aus feinem dunkelblauem Tuch kaschierte. Zu seinem makellos weißen Hemd trug er eine rot-blau gestreifte Krawatte, auf der ein für Karl nichtssagendes Wappen prangte. Vertrauter waren ihm da schon die kleinen Anker auf den Messingknöpfen am Jackett seines Gastgebers. Vielleicht hatte Doktor Windig in der Marine gedient. Gegen den durch und durch soliden Notar kam sich Karl in seinem abgetragenen Mantel – ein Erbstück seines Vaters – schäbig vor.
    Doktor Windig schien die Aufmachung des jungen Mannes aber nicht zu stören, nachdem er den Grund seines Kommens erfahren hatte. Herr Trutz sei ein hoch geschätzter Klient, versicherte der Notar, ein wenig weltfremd vielleicht, aber gleichwohl hoch geschätzt. Karl möge doch bitte Platz nehmen.
    Er ließ sich in einem Sessel ohne Armlehnen vor dem wuchtigen Schreibtisch des Notars nieder und erzählte von dem Anschlag der letzten Nacht. Doktor Windig schien ehrlich betroffen und erwiderte, dass Thaddäus Tillmann Trutz sich schon länger mit dem Gedanken trage, sein Geschäft an einen jungen Nachfolger zu übergeben. In letzter Zeit habe er zudem häufiger im Notariat angerufen, ständig seine hier hinterlegten Instruktionen geändert oder neue diktiert und dabei immer wieder eine eventuell längere Reise erwähnt, die er so bald wie möglich anzutreten gedenke. Offenbar sei er nun überstürzt aufgebrochen, fügte Doktor Windig hinzu und ließ sich von Karl die Dokumentenmappe reichen. Nach einem mehrminütigen Studium der darin befindlichen Papiere stieß er einen tiefen Seufzer aus.
    »Unter der Generalvollmacht fehlt die Unterschrift«, sagte Karl, um seine Kompetenz in Sachen Vertragsgestaltung unter Beweis zu stellen.
    Doktor Windig nickte bedeutungsschwer. »Und die Ortsangabe. Formaljuristisch ist die Vollmacht nur ein wertloser Fetzen Papier.«
    »Das Schiff ist also ohne Kapitän.«
    »Was sagten Sie?«
    »Nur so eine Redensart, die ich neulich in einem Roman gelesen habe.«
    Doktor Windig lächelte verbindlich. »Offensichtlich will der alte Büchernarr Sie nicht ohne Grund mit seiner Nachfolge betrauen. Ohne die Unterschrift jedoch ...«
    «... darf ich mich wieder auf Arbeitssuche begeben.«
    »Das würde ich so nicht stehen lassen. Ihr Anstellungsvertrag ist rechtswirksam. Sie sind zwar ohne eine gültige Vollmacht im Außenverhältnis nicht handlungsbefugt, aber was Sie im Laden von Herrn Trutz anstellen, obliegt Ihrer Sorgfaltspflicht als dessen Mitarbeiter.«
    Karl verstand nur die Hälfte von dem, was der Notar ihm da in der Juristen spräche klar zu machen versuchte, aber immerhin schöpfte er neue Hoffnung. »Was ist, wenn Herr Trutz nicht von seiner Reise zurückkehrt? Er selbst schien diese Möglichkeit nicht auszuschließen.«
    »Für diesen Fall hat er das Testament aufgesetzt. Leider ist es ebenfalls ungültig, weil Sie die darin erwähnte Legitimation nicht vorlegen können. Oder?«
    Karl verstand die Frage nicht. Er deutete auf den Aktendeckel. »Ich furchte, mehr als das da habe ich nicht.«
    »Sind Sie sicher? Denken Sie gut nach, Herr Koreander. Hat Ihnen Trutz sonst nichts gegeben?«
    »Nein, alles ging so schnell. Er sprang auf, rannte in sein Kabinett, als müsse er mal dringend – Sie wissen schon. Aber er kehrte nicht mehr zurück.«
    »Das sieht ihm ähnlich. Nun, vielleicht muss ja, um Ihre Metapher aufzugreifen, das Schiff nicht gleich untergehen, wenn der Kapitän mal für einige Zeit nicht auf der Brücke steht. Vorausgesetzt, der Steuermann trifft die richtigen Entscheidungen.«
    Karl konnte dem prüfenden Blick des Notars nur mit Mühe standhalten. Da hat er sich den denkbar Schlechtesten ausgesucht, hätte er am liebsten erwidert, beließ es aber bei dem Gedanken.
    »Ich hätte einen Vorschlag zu machen«, sagte Doktor Windig, weil sein Gegenüber wie ein Häuflein Elend vor sich hin brütete und zu

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