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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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Bibliothek.«
    »Klingt bombastisch.« Passt aber zu einem Traum.
    Alphabetagamma verdrehte die winzigen Augen zur unergründlich fernen Decke. »Ich verstehe nicht, was sich der ehrwürdige Thaddäus dabei gedacht hat, ausgerechnet dich zu berufen. Du scheinst ja von nichts eine Ahnung zu haben.«
    »Die Einarbeitungszeit war ziemlich kurz. Was ist nun mit den verschwundenen Büchern?«
    »Hast du's etwa immer noch nicht gesehen?«, klagte der Bücherdrill mit weinerlicher Stimme und deutete auf eine leere Stelle, die von seinem Sitzplatz nur wenige Bücher weit entfernt lag.
    Karl schreckte zurück. Ungläubig starrte er auf die Lücke, und ein nicht unbedingt angenehmes Kribbeln machte sich in seinem Nacken bemerkbar. Sämtliche Härchen an seinem Körper richteten sich auf. In einer Bibliothek ist es wirklich nicht gerade eine Sensation, wenn irgendwo im Regal ein Buch fehlt, und so hatte Karl dem leeren Raum, auf den der Bücherdrill immer noch deutete, anfangs keine Beachtung geschenkt. Doch nun sah auch er, dass damit etwas nicht stimmte.
    »Schwärze, nichts als Schwärze«, erklärte Alphabetagamma schluchzend.
    Karl war sich nicht sicher, ob diese Beschreibung präzise wiedergab, was er sah. Oder vielmehr nicht sah. Schon nach kurzer Zeit schmerzten seine Augen vom Anblick dieser völligen Leere. Obwohl die ledernen Einbände zur Rechten und zur Linken des fehlenden Buches leuchteten (der eine türkis, der andere schweinchenrosa), drang nicht der geringste Schimmer in die Lücke. Weder das Regalbrett noch irgendetwas hinter dieser unheimlichen Kluft war zu sehen. Unwillkürlich entsann sich Karl des Durchgangs zum Bücherkabinett des Herrn Trutz. Auch diese Öffnung hatte das Licht wie ein samtener Vorhang verschluckt, aber das hier war mehr als Dunkelheit, es war mehr als Schwärze, es war... Er schüttelte den Kopf und streckte fasziniert die Hand nach dem Zwischenraum aus.
    »Halt!«, schrie der Bücherdrill. »Bist du von allen guten Geistern verlassen?«
    Karls Hand verharrte vor der Lücke. Er verspürte einen fast unwiderstehlichen Drang, auch noch die letzten paar Zentimeter zu überbrücken und in diese Leere zu greifen. Und tatsächlich setzte sich seine Hand wieder in Bewegung, näherte sich, während er machtlos zusah, diesem winzigen, bodenlos erscheinenden Abgrund. An den Fingerspitzen fühlte er ein Kribbeln, wie wenn einem der Frost in die Glieder gefahren ist und sie allmählich wieder auftauen.
    »Nimm deine Finger endlich da weg!«, piepste Alphabetagamma schrill.
    Als wäre ein Bann von ihm abgefallen, zog Karl die Hand zurück. Mit großer Anstrengung konnte er auch seinen Blick von der Lücke losreißen und heftete ihn auf das Gesicht des Bücherdrills. »Was um Himmels willen ist das, Alpha... ?« Der Name war ihm entfallen.
    »Sag Albega zu mir, alle meine Amtsgenossen tun das.«
    »Und ich bin Karl.«
    »Ach, du bist das!«
    »Hat dir der ... äh ... Meisterbibliothekar etwa von mir erzählt?«
    »Ich hab von dir gelesen.«
    »Aber klar! Vermutlich in einem der Bücher hier.«
    »Nein, bestimmt nicht. Aber dazu später. Willst du immer noch wissen, was diese Leere da zu bedeuten hat?« Der Bücherdrill deutete auf die Lücke.
    »Ja doch! Heraus damit!«
    »Ich kann es dir nicht sagen und auch niemand sonst, den du hier fragen magst. Sogar der ehrenwerte Thaddäus könnte es nicht. Doch eines gilt inzwischen als gesichert: Alles, was du da reinsteckst, verschwindet.«
    Karl starrte Albega mit offenem Mund an. In Gedanken wiederholte er dessen Worte, hatte aber immer noch Mühe, sie zu verstehen. »Du meinst, es löst sich auf?«
    »Nein. Es ist einfach nicht mehr da. Neulich ist der Fuß von einem befreundeten Bücherdrill in so eine Lücke reingeraten und war danach einfach weg. Inzwischen fehlt ihm das Bein bis zum Knie.«
    »Es ist schon mehrmals passiert?«
    »Ich dachte, das hätte ich gesagt.«
    »Und es breitet sich aus?«
    »So wie Wundbrand.«
    »Höchste Zeit aufzuwachen«, murmelte Karl.
    Albega kniff ein Auge zusammen und musterte sein Gegenüber intensiv. »Sag mal, du bist doch heute nicht das erste Mal hier, oder?«
    »In der Bibliothek? Wenn ich mich nicht irre, ist es schon mein Besuch Nummer drei.«
    Der Bücherdrill schlug die winzigen Hände über dem Kopf zusammen. »Na, herrlich! Da schickt uns der ehrenwerte Thaddäus einen Grünschnabel als Retter und denkt vermutlich ...«
    »Retter?«, japste Karl. »Ich glaube, es wird Zeit, hier ein paar Dinge

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