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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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machte er sich klar. Ohne Augen. Blinde Wächter? Womöglich sollten sie den Nox unterschiedslos vor jedem Eindringling schützen. Karl konnte seine Gegner sehen, und schon ihr Anblick ließ sein Blut in den Adern gefrieren. Was nun? Sollte er zum Eiszapfen springen, den Nox herunterreißen und sich aus dem Staub machen? Irgendetwas in seinem Bewusstsein hielt ihn davor zurück. Wie viel konnten die Hüter tatsächlich wahrnehmen? Er wagte einen Schritt nach links, wodurch er die schräge Gewölbewand nun im Rücken hatte.
    Ruhig und absolut synchron folgten ihm die augenlosen Katzengesichter.
    Das musste ein Zufall sein, redete sich Karl ein. Er hatte keinen Laut von sich gegeben, nicht das kleinste Klimpern des Gürtels. Allen Mut zusammennehmend, wagte er einen weiteren Schritt.
    Die Reptilienschwänze erwachten. In völliger Übereinstimmung wandten sich ihm die Schlangenköpfe zu und züngelten.
    Das nimmt kein gutes Ende! Karl geriet in Panik. Was sollte er tun? Namen erfinden? Was für ein Schwachsinn! Als wenn sich diese Ungeheuer damit bändigen ließen! Die Falltür war etwas anderes. Er hatte Ali Baba und die vierzig Räuber gelesen – da gab es auch das »Sesam öffne dich!«. Aber hier? In Gedanken rief er alle möglichen Befehle, formulierte inbrünstige Willensbekundungen, aber die Katzenschlangen rührten sich nicht...
    Hatte er sie etwa längst gebannt? Karl trat beherzt einen Schritt vor, direkt auf die schwarze Hand zu – und bereute sogleich seinen Entschluss.
    Beide Hüter erhoben sich auf ihre Tatzen und näherten sich ihm: Die kleinere kam links-, die größere rechtsherum. Im Nu war der Rückweg von einem augenlosen Ungeheuer versperrt. Nur mit Mühe konnte Karl einen Aufschrei unterdrücken. Er zerrte am Schwertgriff, doch die Waffe rührte sich nicht aus der Scheide. Bleib ruhig! Denk nach! Sie können dich nicht sehen, redete er sich immer noch ein.
    Plötzlich senkte die Bestie zu seiner Linken den Kopf dicht über den Boden und fauchte. Gleichzeitig zischte der nach vorne gebogene, überraschend lange Schlangenschwanz. Zwei Wolken trieben auf Karl zu. Es war wie eine Herausforderung an den unsichtbaren Gegner. Erschrocken fuhr er herum, als sich ihm nun auch das Ungeheuer zur Rechten in gleicher Weise stellte. Wie gebannt starrte er auf die Atemwolken, die sich bald vereinten, und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass der Kampf bereits begonnen hatte.
    Wo der Dunst über den Boden strich, bildete sich eine Reifschicht. Aber das war erst der Anfang des Grauens. Aus der glitzernden Schicht wuchs rasch ein Teppich feiner Eisnadeln empor.
    Schlagartig wurde Karl klar, was geschehen würde, wenn er auf diesen Läufer aus gefrorenen Nadeln trat. Das verräterische Knirschen musste die Hüter unweigerlich zu ihrem Opfer führen. Entsetzt wich er vor den letzten Resten der träge herantreibenden Wolke zurück. Ein bohrender Schmerz im rechten Fuß ließ ihn aufschreien. Er hatte nicht an das Loch in seiner Schuhsohle gedacht. Gleich mehrere Eisnadeln waren durchgedrungen und hatten sich wie Wespenstacheln in sein Fleisch gebohrt. Um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, machte er mit dem anderen Bein einen Ausfallschritt. Mit dem Geräusch unzähliger zersplitternder Glasnadeln gingen ein paar Hundert weitere Stacheln zu Bruch.
    Spätestens jetzt hatten die zwei Wachbestien ihre Beute lokalisiert. In schneller Folge fauchten und zischten sie weitere Wolken gegen den Eindringling. Diesmal überzogen sie nicht allein den Boden mit einem funkelnden Stachelkleid. Sie deckten Karl auch direkt mit ihrem eisigen und zugleich widerwärtig stinkenden Atem ein.
    Die Kälte war fast unerträglich. Trotzdem versuchte er den Hütern auszuweichen. Aber es gelang ihm nicht. Bald hatten sie ihn, weit vom rettenden Ausgang entfernt, in die Enge getrieben. Wenn er dorthin zu entkommen versuchte, zischte ihn ein blinder Schlangenkopf an, und wagte er einen Ausfall in die andere Richtung, blickte er in ein Maul mit gefletschten Zähnen. Auch ihre, vermutlich rasiermesserscharfen, Pranken setzten die Bestien ein. Doch bis jetzt hatten sie ihn nicht berührt. Die Hüter des Nox schienen es darauf abgesehen zu haben, auch ihn in einen Eisquader zu verwandeln.
    Mit einem Mal konnte er seine Beine nicht mehr bewegen. Seltsamerweise spürte er keine Kälte mehr. Dafür hatte er das Gefühl, in eine umgestülpte Igelhaut eingenäht zu sein, die sich langsam zusammenzog. Der Schmerz drohte ihn zu übermannen. Er schien sich

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