Isegrim
und wir uns nun zwei Wochen nicht sehen werden. Deshalb habe ich länger geschlafen als sonst und bin noch zu Hause, als Hagen Neumann klingelt.
Ich begleite Pa zum Tatort. In meinem Inneren herrscht wilder Aufruhr, ich habe Mühe, die Ahnungslose zu spielen.
Nachdenklich kniet Pa neben den Ãberresten des Schafes und untersucht die Bisswunden an der Kehle mit dem blutigen Halsband. Die Bauchdecke der Heidschnucke ist aufgerissen, eine Darmschlinge zieht sich einen Meter lang über das blutgetränkte Gras. Wie auch die anderen Schafe ist das Tier angepflockt gewesen und hatte keine Chance, als die Wölfin kam.
Sabine Neumann, Clemens und Tizia treten aus dem Haus. Clemens nickt mir kurz zu. Er trägt ein olivgrünes Achselshirt und dünne braune Leinenhosen â vermutlich ist das sein Schlafanzug. Die langen schwarzen Haare fallen ihm offen über die Schultern und er sieht unverschämt gut aus.
Als Tizia den Kadaver erblickt, wird sie bleich und verzieht das Gesicht zu einer Grimasse. Sie presst eine Hand auf den Mund, wendet sich ab und verschwindet im Laufschritt wieder in Richtung Haus.
»Tja.« Pa kratzt sich nachdenklich am Hinterkopf. »Ich nehme an, das war Tobias Zackes Rottweiler. Wahrscheinlich ist er mal wieder ausgebüchst. Er hat bereits ein oder zwei Dorfkatzen auf dem Gewissen, aber dass er ⦠na ja, das hier ist selbst für Luzifer ungewöhnlich.«
»Es ist eine Ungeheuerlichkeit, dass so eine Bestie frei im Dorf herumläuft«, ruft Sabine Neumann aufgebracht. »Und überhaupt, stehen Rottweiler nicht auf dieser Liste für verbotene Hundearten?«
Papa stützt sich mit den Händen auf den Oberschenkeln ab und steht auf. »Zacke hat eine Genehmigung zum Halten des Hundes. Nach der Gefahren-Hundeverordnung muss Luzifer an der Leine geführt werden und einen Maulkorb tragen.«
»Na, von einem Maulkorb kann offensichtlich nicht die Rede sein«, bemerkt Hagen. »Für diesen Hund braucht er einen Waffenschein.«
Clemens starrt immer noch fasziniert auf den Kadaver, enthält sich jedoch jeglicher MeinungsäuÃerung.
»Haben Sie denn nichts gehört in der Nacht? Die Tiere müssen doch Todesangst gehabt haben?«
Neumann schüttelt den Kopf. »Wir waren gestern Abend auf einer Einweihungsfeier und sind erst spät nach Hause gekommen. So gegen zwei, glaube ich. Da war es vermutlich schon passiert.«
»Was wird denn jetzt?« Ungehalten betrachtet Sabine Neumann die blutige Schweinerei auf ihrer Wiese.
»Zuerst muss festgestellt werden, ob es tatsächlich Luzifer war, und dann müssen Sie sich mit Tobias Zacke wegen einer Entschädigung einigen.«
Mir ist völlig klar, dass Luzifer unschuldig ist. Aber ich halte den Mund.
»Und wenn er leugnet, dass es sein Hund war?«, fragt Hagen.
Mein Vater hebt die Schultern.
»Das ist doch nicht Ihr Ernst?«
»Ich werde mit Zacke sprechen, wenn Sie das möchten.«
»Ja, bitte tun Sie das.«
Pa fasst mich am Arm. »Komm, Jola.« Wir gehen ein paar Schritte in Richtung Einfahrt, als mein Vater sich noch einmal zu Neumanns umdreht. »Ach ja, im Ãbrigen verstöÃt es gegen die Haltungsrichtlinien, wenn Sie Ihre Schafe anpflocken.«
Pa macht sich auf den Weg, um Tobias Zacke einen Besuch abzustatten, und ich radele, so schnell ich kann, in den Wald, um Olek von der Katastrophe zu berichten.
»Nun ist es also passiert«, sagt er mit belegter Stimme. »Ich muss einfach noch besser aufpassen.«
»Wie jetzt? Du passt auf die Schafe auf?«
»Ich versuchen.«
Ungläubig schaue ich ihn an. »Ich muss es meinem Vater sagen, Olek. Und dem Schäfer. Die Wölfin, sie hat Hunger. Ihre Jungen brauchen viel Fleisch. Sie wird es wieder tun. Du kannst es nicht verhindern. Wenn sie noch mehr Schafe tötet, wird es umso schwieriger.«
Panik macht sich in seinem Gesicht breit. »Dann ich muss hier weg, Jola. Leute werden kommen ⦠sie die Höhle finden.«
Olek hat recht und ich weià es. Wenn publik wird, dass auf dem Truppenübungsplatz ein kleines Wolfsrudel lebt und jagt, dann ist das eine Sensation. Dann werden sich nicht mehr nur Schatzsucher und idiotische Crossfahrer illegal auf dem Militärgelände herumtreiben, sondern auch Wolfsforscher. Wolfsfreunde werden versuchen, um jeden Preis ein Foto von einem wilden Wolf zu ergattern, und Wolfsfeinde alles daransetzen, ihm den
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