Isegrim
Seufzer von sich, sie sackt in sich zusammen, als hätte sie keine Knochen im Leib. Sofort knie ich neben ihr, gebe ihr kleine Klapse auf die Wange. »Agnes ⦠Agnes, wachen Sie auf.« Hektisch schaue ich mich um, entdecke ein Gartenmagazin, mit dem ich der ohnmächtigen Frau Luft zufächele.
Langsam kommt sie wieder zu sich. Ich helfe ihr, sich erst aufzurichten, und als sie wieder bei sich ist, aufzustehen. Ich führe sie zu einem Stuhl, hole ihr das Glas Wasser.
»Bist du dir sicher?« Ihre Stimme ist ein schwaches Ãchzen.
»Ja, ganz sicher. Er ist es.«
»Ich glaube, das muss ich erst einmal verkraften, bevor ich es Mutter erzählen kann.«
»Ist es in Ordnung, wenn ich Sie jetzt alleine lasse? Ich muss Olek finden, bevor die anderen ihn finden.«
Agnes nickt. »Geh nur, Mädchen. Ich komme schon klar.«
26. Kapitel
D ie Haustür fällt hinter mir ins Schloss. Obwohl es schon nach sieben ist, herrscht eine drückende Schwüle. Die Atmosphäre ist elektrisch aufgeladen, irgendwo in weiter Ferne ist ein Gewitter im Anzug. Bevor ich mich auf den Weg zur Höhle mache, muss ich Ma anrufen und ihr sagen, dass sie sich nicht sorgen soll.
Während ich mein Rad über den Plattenweg zum offenen Gartentürchen schiebe und über eine geeignete Lüge nachdenke, dringt plötzlich die aufgeregte Stimme von Kais Mutter an meine Ohren. Ich verharre einen Augenblick und lausche. Ellis Name fällt. Das hört sich nicht gut an. Ich lege das Rad leise auf dem Weg ab, steige über Agnesâ Blumenrabatte und schleiche mich zum Zaun, wo ich mich hinter einem dichten Fliederstrauch verstecke.
Vor der Hofeinfahrt der Hartungs steht eine kleine Menschentraube. Bianca Hartung, die auf Karsten und Caroline Merbach einredet und dabei wild mit den Händen fuchtelt. Die Nachbarn der Hartungs, Achim und Marga Roland, sie mit einem karierten Geschirrtuch in der Hand. Und noch zwei alte Weiber in bunten Kittelschürzen: Kais Oma Ruth und die Eier-Euchler. Mist, Kai ist auch dabei. Alle reden aufgeregt durcheinander, während Lasse das Grüppchen mit seinem quietschenden Dreirad umkreist wie ein Hütehund seine Schafherde.
Kai hat ihnen alles erzählt und nun zerreiÃen sie sich die Mäuler über den Dieb im Wald und seine Liebste, die Tochter des Försters. Das gibt ein wunderbares Drehbuch für einen Heimatfilm. Mein Ruf im Dorf ist endgültig ruiniert, ich werde wegziehen müssen.
Ich laufe zurück zu meinem Fahrrad und schiebe es aus der Gartenpforte. Verdrück dich unbemerkt, bevor sie über dich herfallen â das ist mein Plan. Doch Kais Mutter hat mich bereits entdeckt und zeigt anklagend auf mich.
»Da ist sie ja.«
Die Köpfe schwenken in meine Richtung, alle starren mich fragend an. Nur Lasse fährt unbeirrt seine quietschenden Runden.
Dann kommt der Pulk geschlossen auf mich zu, Kai vorneweg. Er sieht noch furchtbarer aus als vor ein paar Stunden. Die Haare stehen ihm wild vom Kopf, seine Augen sind gerötet und die Unterlippe ist aufgeplatzt.
Mein Magen zieht sich zusammen. »Was ist denn los?«, stoÃe ich hervor. »Ist was passiert?«
»Elli ist verschwunden.«
»Was?« Schlagartig wird mir speiübel. Meine Beine beginnen zu zittern. »Seit wann?«
»Das wissen wir nicht genau«, sagt Kai. »Ich dachte, sie ist bei meiner Mutter in der Küche, und die dachte, Elli ist mit mir zum Badesee, weil ⦠ihr Rad ist weg. Ich bin ziellos durch die Gegend gefahren, ich musste einfach allein sein. Bin erst vor einer Stunde zurückgekommen und da fiel es dann auf, dass sie verschwunden ist.« Er beiÃt sich auf die Lippe, wie immer, wenn er zerknirscht ist.
»Sie ist mir nachgefahren«, denke ich laut. Ich bin jetzt umringt von Leuten.
»Nachgefahren?« Kai zieht die Stirn in Falten. »Wohin denn?«
Bianca Hartung packt mich am Oberarm und schüttelt mich. »Wohin ist Elli dir nachgefahren?«
»In den Wald«, antwortet Kai an meiner Stelle, »wohin sonst. Sie ist zum Stelldichein mit ihrem Dieb gefahren, deshalb konnte sie Elli nicht gebrauchen.« Er presst die Lippen zusammen, sein Mund ist ein verächtlicher Strich. »Ist doch so, oder?«
Wieder werde ich geschüttelt. »Ist das wahr, Jola? Nun rede schon.«
Ich kann es nicht glauben. Machen sie jetzt mich dafür verantwortlich, dass der kleine Satansbraten verschwunden
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