Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Isegrim

Isegrim

Titel: Isegrim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
Vom Netzwerk:
suche nach Unterscheidungsmerkmalen von Schäferhund und Wolf und werde schnell fündig: Wölfe sind größer als Hunde. Sie haben einen größeren Kopf, dafür kleinere, dreieckige Ohren. Die Schnauze ist länger, die Eckzähne sind größer, der Rücken gerade und der Schwanz nie eingerollt. Die Schwanzspitze ist schwarz. Und ihre Spuren sind größer. Ich vergleiche die Spuren auf der Wolfsseite mit dem Foto, das ich mit meinem Handy an der Wildsuhle gemacht habe.
    Bingo!
    Bis zum Mittagessen bin ich Wolfsexpertin und kann es kaum erwarten, wieder auf den Truppenübungsplatz zu kommen. Ich weiß jetzt alles über ihr Aussehen, ihr Jagdverhalten, die Spurenerkennung, die Aufzucht ihrer Jungen. Und natürlich auch über den Ärger, den die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland mit sich bringt.
    Während des Essens fällt es mir schwer, meine Eltern nichts von diesem Adrenalinschub spüren zu lassen, der mich ganz zappelig macht. Zumal da noch eine letzte Unsicherheit in mir ist: Was, wenn ich mich täusche? Ein wild lebender Wolf – das ist zu verrückt, um wahr zu sein. Wieso habe ich ihn nie heulen gehört? Doch mein Gefühl sagt mir, dass es ein Wolf ist, den ich an der Suhle gesehen habe – ob er nun heult oder nicht. Wenn Wölfe heulen, kommunizieren sie miteinander. Aber was, wenn man niemanden hat, mit dem man sich unterhalten kann? Entweder das Tier ist auf Wanderschaft und schon bald wieder verschwunden oder – und das ist neben Hubert Trefflich meine größte Sorge – mein Vater wird es früher oder später entdecken.
    In letzter Zeit ist Pa kaum noch auf Pirsch gewesen, weil er dauernd bis in die Nacht hinein auf irgendwelchen Versammlungen unterwegs ist, in denen es um die zukünftige Nutzung des Militärgeländes geht. Leider pirscht Trefflich ziemlich oft im Wald herum. Aber Wölfe sind ungeheuer scheu und meiden den Menschen. Und außerdem ist das Areal des Truppenübungsplatzes Natura-2000-Gebiet, ein Flora-Fauna-Habitat, und was auch immer dort wächst, fliegt und herumstreift, ist per Gesetz geschützt. Sofern jeder sich daran hält.
    Nach dem Essen verschwindet Pa in seinem Büro und Ma werkelt in der Küche. Ich bin schon auf dem Sprung, um noch einmal in den Wald zu fahren, als es zaghaft an meiner Tür klopft und Saskia mit kajalverschmierten Augen davorsteht. Oje! Ich ziehe sie in mein Zimmer. »Hey Sassy, was ist denn los?«
    Sie lässt sich auf mein Bett fallen. »Dieser Idiot, er hat mich nicht eingeladen. Er beachtet mich überhaupt nicht, ich bin schlichtweg Luft für ihn.«
    In meinem Kopf muss ich erst einmal den Schalter umlegen, von einer besonderen Spezies auf die andere. Wölfe und Jungen. Endlich dämmert es. Clemens Neumanns Geburtstagsparty, Saskia hat mir vor ein paar Tagen im Bus davon erzählt. Ich setze mich neben sie und lege einen Arm um ihre Schulter. »Ach, vergiss den Typ doch endlich.«
    Ich habe genau das Falsche gesagt. Saskia Schultern beben und sie schluchzt. »Wenn das so einfach wäre, Jo. Ich kann an nichts anderes mehr denken als an ihn. Er hat alle möglichen Leute eingeladen, mit denen er immer auf dem Schulhof rumhängt, sogar Lisa, die dämliche Schnepfe – nur mich nicht.«
    Lisa stammt aus Eulenbach und ist keine dämliche Schnepfe. Sie ist hübsch, frech und macht immer genau das, was sie will. Aber das behalte ich für mich.
    Â»Weil er ein überhebliches Arschloch ist, Sassy«, erwidere ich stattdessen. Ȇberhaupt: Was findest du eigentlich an dem?«
    Â»Er ist so … so anders«, schluchzt sie. »Kannst du das nicht verstehen? Ihm haftet dieser … dieser Mief nicht an.«
    Â»Mief?«
    Â»Gülle, Schafdung, Hühnerkacke«, sie schnieft. »Du weißt schon, was ich meine.«
    Ja, ich weiß, was sie meint. Schließlich bin mit einem zusammen, dem dieser Mief anhaftet. Schafdung war das Stichwort.
    Saskia zieht wieder die Nase hoch und schaut mich unter ihren Ponyfransen von der Seite an. Schließlich dämmert es ihr. »Tut mir leid«, sagt sie und presst eine Hand auf ihren Mund. »Ich wollte nicht …«
    Sie sieht so geknickt aus, dass ich ein Kichern kaum noch unterdrücken kann. Schließlich prusten wir beide los.
    Â»Kai ist anders«, sagt sie. »Er will ja auch weg. Raus aus der Scheißidylle.«
    Â»Ja«, sage ich. »Er

Weitere Kostenlose Bücher