Isegrim
Hinterpfote in den Abdruck der Vorderpfote gesetzt. Geschnürter Trab nennt sich das. Auch Füchse laufen im geschnürten Trab, aber diese Trittsiegel gehören definitiv zu keinem Fuchs, dafür sind sie viel zu groÃ, ich schätze, fast acht oder neun Zentimeter.
Ich folge der Spur ein paar Meter, bis ich auf eine frische Losung stoÃe. Um sie mir genauer anzusehen, gehe ich in die Hocke, als ich plötzlich Motorenlärm höre. Schnell springe ich auf, verschwinde im Dickicht des Waldes. Finden heute doch Ãbungen statt? Der rot-weiÃe Ball hängt nicht am Mast, das weià ich genau.
Sie kommen quer durch den Wald geprescht mit ihren Maschinen, die einen Höllenlärm veranstalten. Crossfahrer. Ich zähle drei Gestalten in Ledermontur, die Gesichter hinter den dunklen Visieren ihrer Helme verborgen. Sie nutzen den Berg als Downhill-Area mit natürlichen Springhügeln und Kurven. Was finden sie bloà daran, derart halsbrecherische Manöver zu starten, in einem Gebiet, in dem massenhaft Blindgänger herumliegen? Total bescheuert!
Der Truppenübungsplatz als riesige Naturrennstrecke mit explosivem Kick. Bis ihnen irgendwann der Hintern um die Ohren fliegt. Die Jungs sind schlichtweg lebensmüde und finden das auch noch groÃartig. Meine Wut wächst mit jeder Sekunde.
Bei einem von ihnen bin ich mir sicher, dass ich ihn kenne. Seine Montur ist schwarz von den Stiefeln bis zum Helm. Der Man in Black . Anscheinend hat er doch Anschluss gefunden im Dorf, denn dass die Jungs aus Altenwinkel stammen, das weià im Grunde jeder, obwohl sie die Nummernschilder von ihren Maschinen geschraubt haben. Aber keiner unternimmt etwas, nicht einmal Pa, obwohl sie mit ihren Crossmaschinen auch in Ecken herumkreuzen, die als Naturschutzgebiete ausgewiesen sind.
Einmal, es ist schon ein paar Jahre her, hat Pa einen Crossfahrer im Wald gestellt und angezeigt. Das Ergebnis waren zerstochene Reifen an seinem Jeep und eine angesägte Jagdkanzel. Seitdem duldet Pa die Crossfahrer stillschweigend, genauso wie alle anderen in Altenwinkel. »Die Jungs wollen doch bloà ein bisschen Spaà haben« â mit diesem Motto kommen sie durch. Und Clemens zusätzlich mit einem Tausender, den sein Vater dieses Jahr für den Erhalt der Dorfkirche springen lieÃ.
Inzwischen habe ich eine Stinkwut. Sollte die Wölfin hier in der Nähe ihre Wurfhöhle haben, dann wird sie ihre Welpen spätestens jetzt woanders hinbringen.
Leise fluche ich ins weiche Moos, das voller Hasenköttel ist.
Wenn ich von den dreien nicht entdeckt werden will, ist mir der einfache Rückweg abgeschnitten. Ich harre in meinem Versteck aus, hoffe, dass die Idioten bald genug haben von ihrem zweifelhaften Vergnügen, aber als ich nach einer Weile auf die Uhr schaue, wird mir klar, dass ich nicht länger hierbleiben kann, wenn ich rechtzeitig zum Abendessen zu Hause sein will. Wie mich das nervt, immer pünktlich sein zu müssen, um kein Drama auszulösen.
Zu allem Ãberfluss platscht mir ein Tropfen ins Gesicht und nun rieche ich den Regen auch. Das Blätterdach über mir ist so dicht, dass es noch eine ganze Weile dauert, bis ich nass werde. Die Crossfahrer scheint der Regen nicht zu stören, ganz im Gegenteil, es sieht so aus, als hätten sie jetzt, wo es rutschig und schlammig wird auf ihren Sprungschanzen, doppeltes Vergnügen.
Vorsichtig trete ich den Rückzug an. Mir bleibt nur der Weg mitten durch das unberäumte Areal, dem Ort, an dem sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Ich kann den Himmel nicht sehen, aber durch den Regen ist es schlagartig dunkel geworden und vor mir liegt schwieriges Gelände. Ungefähr zehn Minuten lang schlage ich mich gebückt durch dichtes Unterholz, taste mich vorbei an abgebrochenen Zweigen, scharf wie Hexenkrallen.
Wurzeln beulen wie dicke Adern aus dem Waldboden, Farne verdecken Erdlöcher und Brombeerpflanzen haben ihre Fangarme ausgelegt. Ich weiche einem Ameisenhügel aus. Eine schwarze Ringelnatter mit gelben Augenflecken schlängelt sich direkt vor mir über den Waldboden, bevor sie unter einer toten Wurzel verschwindet.
Der Regen wird stärker, jetzt tropft es von den Bäumen und Nässe kriecht mir auch in die Schuhe. Ich hole meine Regenjacke aus dem Rucksack, auch wenn ich im Grunde schon völlig nass bin. In diesem Waldstück kenne ich mich nicht so gut aus und das Regendunkel macht die Sache nicht
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