Isenhart
Vogel gesehen, der kopfüber an einem Ast hing.
Sie sahen Gweg an.
»Was ist, wenn er magische Kräfte besitzt?«, fragte Konrad und bemühte sich gar nicht erst, seine tiefe Besorgnis über diese Möglichkeit zu verbergen. Auch Isenhart geriet ins Schwanken.
»Ich kann nicht glauben, dass er ein Vogel ist. Was denkst du?«
»Ich frage mich, was er mit seiner Zeterei bezweckt«, stellte Isenhart leise fest.
Gweg ließ sich fallen, vollführte eine Drehung um seine Längsachse und landete auf dem darunterliegenden Ast wieder auf seinen Krallen. Er gab eine wilde Folge von Krächzlauten von sich, flog zum nächsten Baum und begann wieder von vorne.
Als sie ihren Weg kopfschüttelnd fortsetzten – zufällig in seiner Richtung –, wechselte der Kolkrabe zum nächsten Baum. Dann schlugen sie sich nach links ins Holz, und prompt begann Gweg wieder zu zetern. Isenhart stoppte und beobachtete den Vogel.
Konnte es sein, dass Gweg sie auf einen Weg weisen wollte? Der Gedanke erschien selbst Isenhart, der dem Vogel einiges zutraute, als ziemlich weit hergeholt. Trotzdem konnte er nicht umhin, die Probe aufs Exempel zu machen. Er vollführte einige Schritte in Gwegs Richtung. Prompt schwieg dieser und flog zwei Bäume weiter, um sich nach ihm umzuschauen. Ganz so, als würde er auf ihn warten.
Isenhart spürte den Schauer, der ihm über den Rücken fuhr. »Er will uns etwas zeigen.«
»Hast du dir vorhin irgendwo den Kopf angeschlagen?«
»Nein, im Ernst. Immer, wenn wir uns auf ihn zubewegen, hört er mit dem Gekrächze auf und fliegt dann weiter in dieselbe Richtung.«
»Ja, und? Was soll er uns schon zeigen wollen?«
»Vielleicht eine Stelle im Wald mit vielen Würmern.«
Konrad stieß ein kurzes Lachen aus. »Ganz bestimmt. Und selbst wenn’s so wäre: Gweg würde die niemals mit uns teilen. Und ehrlich gesagt, würde ich auch keinen Wert darauf legen. Bah!«
Er verzog bei der Vorstellung jeden zur Verfügung stehenden Gesichtsmuskel.
Konrad hat recht, dachte Isenhart. Trotzdem ließ ihn seine Überlegung nicht los. »Es ist doch egal, wo wir Reisig sammeln, oder?«
Konrad warf ihm einen langen Blick zu, bevor er seufzte und sich in Bewegung setzte. »Also schön, folgen wir dem Pechvogel.«
Als Gweg endlich keinen neuen Baum mehr ansteuerte, erreichten sie eine Lichtung und überraschten einen Wolf, der Fleischstücke aus dem Reh riss, dass er zur Strecke gebracht hatte.
Die beiden Freunde hielten in ihren Bewegungen inne, aber der Canide hatte sie gehört – oder gerochen. Jedenfalls drehte er sich um, richtete seinen Blick auf sie und nahm eine geduckte Haltung an. Sprungbereit.
Konrad nahm in einer langsamen Bewegung die Armbrust von seinem Rücken, während Isenhart – ebenso ruhig – seinen Dolch zückte.
»Da ist noch viel dran«, murmelte Konrad.
»Sehr viel«, bestätigte Isenhart.
»Wie viele Tage hatten wir jetzt Bohnensuppe?«
»Viele.«
Wie auf ein stummes Stichwort hin begannen sie gleichzeitig auf den Wolf und dessen Beute zuzugehen. Konrad hob die Armbrust an und lehnte ihren Schaft ans Schultergelenk, um bei einem Angriff keine Zeit zu verlieren. Nichtsdestotrotz blieb ihm im Falle eines Falles nur ein einziger Schuss. Isenhart bewegte sich geschmeidig durch den Schnee. Der Wolf fletschte seine langen Zähne und stieß ein tiefes Knurren aus.
»Ich geh nur wegen der Bohnensuppe weiter«, raunte Isenhart.
»Ich auch.«
Mit einem Mal rauschte etwas Schwarzes durch die Luft, Gweg jagte im Sturzflug auf den Wolf hinab, um ihn zu attackieren. Erst im allerletzten Moment zog er vor dem Raubtier hoch, dessen Fell vom Nacken bis fast zur Rute einen eindrucksvollen Kamm bildete. Der Canide schnappte ins Leere und war irritiert. Drei Gegner waren ihm augenscheinlich zu viel. Unter gesichtswahrendem Knurren zog er sich zurück und überließ dem Gefiederten und den Zweibeinigen seine Beute.
Konrads Hang zum Pragmatismus ließ ihn etwas tun, worauf Isenhart in dem Augenblick niemals gekommen wäre: Er schnitt ein Stück aus den angefressenen Eingeweiden heraus und warf sie Gweg zu, der in einigem Abstand abwartete. Der Kolkrabe schnappte sich die Eingeweide und flatterte davon.
Konrad entging Isenharts fragender Blick nicht. »Ohne ihn wären wir nie auf das Reh gestoßen. Also wird geteilt.«
Seit dieser Begebenheit hatte Konrad nach und nach all seine Bedenken, die um Gwegs möglichen Herrn – den Endchristen – kreisten, über Bord geworfen und ging nur noch in Begleitung
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