Isenhart
tun.
Gemeinsam bogen sie vom Trampelpfad für ein kurzes Stück auf die linksrheinische Handelsstraße, die aus der Lombardei über Basilia und Mainz bis in den Norden des Reiches führte.
Konrad hatte den Rat seines Lehrers befolgt und sich in den letzten fünf Jahren damit begnügt, Stachel zu sein. Und es ging ihm dabei ausgesprochen gut. Für das tägliche Leid des Abtes rührte er keinen Finger, es genügte zu sein.
»Was hältst du davon, wenn wir Walther mal wieder einen Besuch abstatten?«, fragte Isenhart.
»Gut, ich hab lange kein Huhn mehr gegessen.«
Henrick wachte über seine Hühner wie ein Löwe. Schon Konrads Gerede über saftige Hähnchenflügel brachte ihn in Rage, er gebärdete sich, als wolle man einen Verwandten verspeisen. Walthers Gesinde hielt auch einige Hühner, und der Hausherr ließ in dieser Hinsicht eher dem Magen den Vorrang. Selbstverständlich aß man das Federvieh.
Walther von Ascisberg war mittlerweile über sechzig, seine Gelenke bereiteten ihm zusehends Schmerzen, und seine Sehschärfe schwand immer mehr. Es war durchaus geboten, hin und wieder bei ihm vorbeizuschauen. Isenharts Absichten, die er mit dem geplanten Besuch verband, entsprangen aber nicht dem puren Altruismus. Tatsächlich ging es Isenhart darum, seinen alten Lehrer in seine Pläne einzuweihen. Mit wem sonst hätte er sich über das Fliegen austauschen sollen? Es gab niemanden.
Sie passierten soeben ein Wirtshaus mit angrenzendem Stall, als ihnen ein junger Mann barfuß nachlief. Er trug eine Hose aus dunklem Leinen, das ihm bis knapp über die Knie reichte, sein Oberhemd war schmutzig und zerschlissen.
»Seid ihr Wachleute aus Spira?«, rief er ihnen nach.
Isenhart und Konrad hielten ihre Pferde an.
»Das sind wir«, antwortete Konrad und tippte auf das Wappen der Stadt, das er auf dem Wams trug.
»Dann kommt. Sie ist im Stall.«
Bevor einer der beiden nachfragen konnte, war der Mann schon losgerannt. Konrad warf Isenhart einen fragenden Blick zu, den dieser mit einem angedeuteten Achselzucken erwiderte.
Sie wendeten ihre Pferde und folgten dem jungen Mann zum Stall, der auch als Scheune diente und einen baufälligen Eindruck machte. Regen und Frost hatten dem Holz zugesetzt. Es war spröde und rissig geworden. Vor dem Gasthaus wartete ein angebundenes Gespann, das aus einem Karren und zwei Mauleseln bestand. Der junge, aufgeregte Mann, der kurz in der dunklen Scheune verschwunden war, flitzte wieder hinaus.
»Hier drinnen«, stieß er hervor, während Isenhart und Konrad von ihren Pferden stiegen.
»Was ist da drinnen?«, fragte Konrad mit einer Gereiztheit, die die Hektik des Mannes hervorgerufen hatte. Aber da war dieser schon wieder im Inneren des Gebäudes verschwunden.
Also folgten sie ihm. Zu Isenharts Überraschung war es erstaunlich gut abgedichtet, nur hier und dort fiel ein heller Lichtstrahl durch eine der wenigen Ritzen und schuf ein angenehm kühles Halbdunkel, an das ihre Augen sich binnen Augenblicken gewöhnten.
Neben dem Stroh und den Ausdünstungen der vier Kühe, die hier hausten, nahm Isenharts Nase noch einen weiteren Geruch wahr, der sich unter den anderen gleichsam verbarg. Dem aber doch eine Intensität innewohnte, die ihn verriet. Im ersten Augenblick vermochte er allerdings nicht, ihn seiner Quelle zuzuordnen.
Eine Gruppe aus drei Männern und einer Frau stand recht regungslos um eine Stelle im Stall herum, an der das Stroh aufgehäuft war.
Als Nächstes drang ein anhaltendes Surren an Isenharts Ohr. Schwankend zwar in der Intensität, aber doch stetig.
»Was ist passiert?«, fragte Konrad, der sich ein wenig gelangweilt in der Scheune umsah.
»Lilith ist tot«, antwortete der quirlige junge Mann, der sie gerufen hatte. Er stand neben einem dicklichen Kerl, der in etwa doppelt so alt war: sein Vater.
Dieser hielt einen Melkeimer in der rechten Hand, sein dunkles Haar war licht. Langsam, wie in Trance, wandte er Kopf und Blick.Er nahm die Fremden wahr, aber kein Wort drang über seine Lippen. Isenhart registrierte die Spuren der Tränen, die feine Linien auf der schmutzigen Gesichtshaut hinterlassen hatten.
Wie von selbst fächerten die vier Gestalten sich nach links und rechts auf und gaben so den Blick auf das frei, worauf sie mit entsetzten Gesichtern gestarrt hatten: ein Bündel im Stroh.
Isenhart erkannte im Halbdunkel zuerst ihr helles Oberteil, das in der Mitte aufgerissen war, und das blonde Haar. Im gleichen Moment identifizierte er auch den Geruch, der in
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