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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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gebracht?«
    »Ja.«
    »Gießt du deine Kerzen selbst oder kaufst du sie?«, fragte er.
    »Die mach ich selbst«, erklärte Haintz.
    Für einen Moment gingen Isenhart die Fragen aus. Er begutachtete die junge Tote und konnte den Sinn, den Gott darin sah, sie überhaupt und auch noch auf diese qualvolle Art aus der Mitte ihres Daseins zu reißen, nicht erkennen.
    Eine schwer zu bemessende Distanz schob sich zwischen seine Ehrfurcht vor Gott und den Allmächtigen selbst.
    »Und Lilith war hier alleine?«
    Haintz nickte.
    »Hatte sie ein teco-meco mit einem Burschen?«
    Haintz sah ihn überfordert an.
    »Eine Tacht«, übersetzte Konrad.
    Haintz schüttelte heftig den Kopf, die Adern an seinem Hals schwollen vor Erregung an. »Sie war mit niemandem, Lilith war ein gutes Mädchen! Sie hat mit keinem gelegen!«
    Isenhart war gewillt, dem Mann zu glauben, aber ausschließen wollte er diese Möglichkeit trotzdem nicht; Anna war mit ihrer Liebschaft auch nicht bei ihrem Vater hausieren gegangen. Wenn Lilith sich mit einem Jungen getroffen hatte, war ihr Vater mit Sicherheit der letzte Mensch auf Erden, der davon erfahren hätte.
    Es sei denn, er selbst war derjenige gewesen. Auch diese Möglichkeit zog Isenhart in Betracht, denn sowohl in den ärmsten Bauernfamilien als auch in den Adelshäusern verlor eine ansehnliche Zahl von Töchtern ihre Jungfräulichkeit durch den Vater. Oder den Bruder.
    Kuntz, den er im Anschluss getrennt vom Vater befragte, bestätigte im Großen und Ganzen Haintz’ Aussagen. Daraus ergab sich ein Zeitraum von rund sechs Stunden, über den Unklarheit herrschte. Um Mitternacht war Lilith mit einer Kerze versorgt worden, zur sechsten Stunde hatte ihr Vater sie ermordet im Stall vorgefunden.
    Es galt nun, den Leichnam zu untersuchen, um den Grund für den Eintritt des Todes festzustellen.
    Die einzige Wunde, die er fand, war jene, die offensichtlich war. Konrad, der Wirt und dessen Sohn sahen ihm dabei über die Schulter.
    »Vielleicht«, sagte Konrad mit gebührender Vorsicht, »wurde sie durch einen Stich ins Herz getötet.«
    Isenhart fand sich von dieser These überrascht, weil sie von Konrad stammte und doch eine Menge offener Fragen beantwortete. Beispielsweise, weshalb Liliths Körper frei von einer anderen Verletzung war. Natürlich konnte der Täter sie erwürgt haben, doch dagegen sprachen der Zustand ihrer Augen, die nicht weit aus den Höhlen getreten waren, und ihr nur leicht geöffneter Mund.
    Solange es möglich war, hatte er sich vor einer Inspizierung der Wunde gedrückt. Nun war allerdings der Zeitpunkt gekommen, sich Gewissheit zu verschaffen.
    »Ich brauche Wasser«, sagte er. Kuntz machte sich umgehend auf den Weg.
    »Was soll ich bloß tun?«, wandte Haintz sich mit jammervoller Stimme an sie, »Lilith war meine einzige Tochter, versteht ihr?«
    »Das ist ein hartes Los«, bekannte Konrad.
    Haintz warf ihm einen dankbaren Blick zu. Endlich jemand, der Verständnis für sein Leid aufbrachte. »Ja«, fuhr er ermutigt fort, »sie war einem Nobile versprochen. Er hat mir drei Kühe für Lilith geboten. Drei Kühe. Die kann ich jetzt natürlich vergessen.«
    Das Mitleid, das Isenhart und Konrad eben noch für den Wirt empfunden hatten, wurde von einer leichten Sommerbrise nach draußen getragen. Und von dort kam Kuntz zurück und reichte Isenhart einen Bottich mit Wasser.
    Er wusch der Toten sorgsam die Wunde, wobei die Wundränder nun deutlich zutage traten. Der Mörder hatte eine Klinge benutzt, um die Haut zu durchtrennen. Das Messer hatte er dabei von oben nach unten geführt. Isenhart wusste, dass man dabei weniger Kraft aufwenden musste als bei einem Schnitt in entgegengesetzter Richtung. Der klare Schnitt wurde immer wieder durch Einkerbungen im Winkel von neunzig Grad zu beiden Seiten unterbrochen. Auch das ein Beleg für die Abwärtsbewegung. Gradlinigkeit und vor allem Tiefe des Einschnitts ließen darauf schließen, dass der Täter ihr vor diesem Eingriff die Brust abgenommen hatte. Der Amputationsschnitt wiederum war sehr sorgfältig ausgeführt worden.
    Er wusste, was er tat.
    Der vertikale Schnitt nach der Entfernung der linken Brust bemaß sich auf rund einen Fuß. Im Anschluss daran – oder davor – war dem Opfer von links nach rechts abermals die Haut geöffnet worden. Auf diese Weise ergaben sich vier dreieckige Hautlappen, die mühelos zur Seite geklappt werden konnten, um sich dann den Rippen zu widmen, die unmittelbar darunter verliefen. Die Schnitte

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