Isenhart
später erschließen, aber er war ihm jetzt trotzdem eine Hilfe.
»Zwischen beiden Morden«, sagte er ruhig, »gibt es Übereinstimmungen.«
»Ja«, antwortete Konrad prompt, »das Herz.«
»Und nicht nur das«, erwiderte Isenhart, um ihn – solange Henning und sein Vater außer Hörweite vor ihnen herritten – an seinen Überlegungen teilhaben zu lassen. Die Entnahme des Herzens war zweifelsohne die auffälligste Parallele zwischen den beiden Verbrechen. Und beide Opfer waren jung, beide waren weiblich, beiden wurde das Herz post mortem geraubt.
»Sie waren beide Jungfrauen.«
Konrad gab ein Hüsteln von sich, er wandte den Kopf zur Seite und blickte Isenhart durch die Augen direkt ins Herz. »Anna war keine Jungfrau«, widersprach er, in seiner Stimme schwang der Tadel des großen Bruders mit, der auf die geheimen Treffen zwischen Isenhart und Anna anspielte.
Der Schmied entschied sich, diesem Einwand nicht auszuweichen.»Sicher«, gab er zu, »aber das konnte der Täter nicht wissen. Anna war Oliver von Schündeler versprochen, der dem Ritus gemäß eine Unbefleckte zur Frau nehmen wollte. Diese geplante Verbindung war bekannt, also konnte der Mörder bis zur Eheschließung mit Fug und Recht von einer Jungfrau ausgehen. Ich glaube, wenn man verstehen will, was geschehen ist, muss man versuchen, alles durch die Augen des Mörders zu sehen.«
»Ich weiß nicht, wie du es immer wieder schaffst, einfachen Dingen durch deine Worte eine komplizierte Erscheinung zu verleihen – aber es gelingt dir.«
»Hast du je von einem ähnlichen Verbrechen gehört?«
»Nein«, gab Konrad zu.
»Väter und Vorväter haben nichts dergleichen berichtet.«
»So ist es. Aber warum soll es nicht im Abstand von fünf Jahren zwei Wahnsinnige geben, warum muss es unbedingt einer sein? Darauf willst du doch hinaus.«
Isenhart nickte.
»Die Übereinstimmungen sind zu groß«, stellte er nach kurzem Überlegen fest.
Konrad nickte und schenkte ihm jenes verzeihende Lächeln, mit dem er sonst einen Simpel bedachte. »Du willst nicht glauben, dass Alexander von Westheim der Mörder meiner Schwester war«, fasste er zusammen.
»Es liegt nicht am Willen«, antwortete Isenhart, »wollen würde ich das gerne. Aber die Gemeinsamkeiten sind zu außergewöhnlich, um ein Produkt des Zufalls zu sein.«
»Außergewöhnlich ja«, pflichtete Konrad ihm bei, »aber nicht unmöglich.«
»Aber zu außergewöhnlich, um sich zufällig zu ereignen«, konterte Isenhart.
Konrad blies die Wangen auf. Sein Freund hatte sich in die Sache verbissen wie ein tollwütiger Hund, er hätte ebenso gut versuchen können, eine Burgmauer zu etwas zu überreden.
»Gut«, seufzte Konrad von Laurin, »ich erinner dich an etwas, damit deine Seele Frieden findet. Von Westheim hatte ein faires Verfahren, wir haben ihn Gott überantwortet, und Gott hat ihm die Kraft versagt, Gott hat ihn schuldig gesprochen. Willst du dasbezweifeln? Willst du dieses Urteil unseres Schöpfers infrage stellen?«
»Natürlich nicht«, antwortete Isenhart.
Konrad war, als wohne der Antwort des Freundes eine Prise Trotz inne, es klang nicht wirklich überzeugend. Auf der anderen Seite war er dieses Themas überdrüssig. Anna war tot. Sie würde es auch für den Rest seines Lebens sein. So wie er Wilbrands alltäglichen Stachel darstellte, war Annas Tod der Widerhaken in seinem Fleisch, und er hatte nicht vor, diese frisch vernarbte Wunde aufzureißen. Auch nicht für Isenhart. »Es war ein Gottesurteil«, stellte Konrad daher abschließend fest.
Dabei senkte er ein wenig den Kopf, der Hals schien kürzer zu werden, während sie ein Haferfeld passierten, das gerade von Bauern abgeerntet wurde. In seinen Augen gab es zwei Täter – einer davon Alexander von Westheim –, die nicht das Geringste miteinander zu tun hatten und unabhängig voneinander ihr Faible für die Herzen von Jungfrauen entwickelt hatten.
Für Isenhart hingegen lag die Sache anders. Es gab nur einen Täter. Annas Mörder war auch der von Lilith.
Gott hatte Anna nicht geschützt und auch Lilith nicht. Und wenn Isenhart sich nicht völlig irrte, hatte er auch zugelassen, dass ein Unschuldiger bei lebendigem Leibe begraben wurde. Neben Walther von Ascisberg hatte der Schöpfer bisher die Rolle seines innigsten Ansprechpartners eingenommen. Vor ihm breitete er im Gebet allabendlich seine Wünsche, Hoffnungen und Nöte aus.
Als sie Spira in der Dämmerung rechtzeitig vor dem Schließen der Stadttore erreichten,
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