Isenhart
Moment lägen schmerzhafte Erkrankungen der Gliedmaßen im Zentrum seiner Aufmerksamkeit.
»Aber«, sagte Henning mit einem nachsichtigen Lächeln, »das kann sich morgen schon wieder ändern. Möglicherweise hat er just zu dieser Stunde eine Eingebung, was die Bekämpfung von Atemnot angeht, und rührt ein neues Gemisch zusammen.«
Zur Jahreswende hatten Vater und Sohn wegen einer hartnäckigen Erkältung Hennings für mehrere Tage Rast in Spira eingelegt. Der Zufall wollte es, dass Otto II . von Henneberg, Bischof von Spira, durch eine Reizung zum Zweck der Lustgewinnung – der Bischof schwieg sich über diesen Teil beharrlich aus – an einer schmerzhaften Entzündung im Darmbereich litt. Hervorgerufen durch den Schmutz unter dem Fingernagel des neunjährigen Ministranten, der Ratten in der Krypta getötet und hinausgetragen hatte.
Der Medicus der Stadt erleichterte den Bischof per Aderlass um gut und gerne drei Liter Blut, was dem Körper von Hennebergs die Reserven raubte, die nötig gewesen wären, um die Infektion wirksam zu bekämpfen. Tatsächlich fand Günther von der Braake – den man schließlich herbeigerufen hatte, weil der Medicus vorsorglich das Weite gesucht hatte – seinen Patienten mehr tot als lebendig vor.
Eilig mixte er mit Hennings Hilfe eine Arznei aus Salz, Wein, Terpentinöl und Kupfervitriol. Henning, dem ohne Unterlass die Nase lief und den Ohrenscherzen plagten, erinnerte sich nur zu gut an jenen Morgen. Er war sich sicher, dass sie dem geschwächten Bischof damit den Rest geben würden. Von Henneberg spie den ersten Löffel der Tinktur erwartungsgemäß aus und schrie Zeter und Mordio.
»Trinkt, oder Ihr sterbt«, beschwor Günther den Mann Gottes und sah ihm dabei tief in die Augen.
»Aber doch nicht wegen dieses kleinen Schmerzes da … unten«, brachte Otto hervor.
»Er wird jedes Körperteil befallen«, erwiderte Günther ungerührt, »es wird das Gewebe Eures Körpers zerfressen, es wird sich anfühlen, als verbrennt Ihr von innen. Trinkt jetzt, oder ich kann auf dieser Welt nichts mehr für Euch tun.«
Und von Henneberg trank das Gebräu, wie ein Ertrinkender nach Luft schnappt.
Natürlich verursachte die Kräutermischung nichts weiter als lang anhaltende Übelkeit und überließ die Entzündung der Selbstheilung des Körpers. Sieben Tage später hatte der soeben genesene Bischof Günther von der Braake in das Amt des Medicus der Stadt Spira erhoben.
Isenhart und Simon mussten herzlich lachen, Rubinstein lief eine Träne über die Wange, als er fragte, ob die Geschichte mit dem Ministranten auch wahr sei.
War sie.
Henning hatte an der Seite seines Vaters ein regelrechtes Nomadenleben geführt, wie Isenhart erfuhr, als sie am nächsten Morgen von Spira aus nach Hambach aufbrachen.
Manchmal war Günther gerufen worden, um Todkranke zu heilen. In solchen Fällen begab er sich mit seinem Sohn unter dem Vorwand, bestimmte Heilpflanzen aufzutreiben, in den Wald. Dort bestiegen sie ihre Pferde und machten sich aus dem Staub. Zu oft waren Heilkundige von Verwandten des Kranken erschlagen worden, wenn ein geliebtes Familienmitglied trotz der Behandlung verstarb.
Die Heilkunde der Kräuter war eine Naturwissenschaft, nicht mehr und nicht weniger, und auch, wenn einige Verzweifelte hofften, es gebe eine Pflanze, die dem Tod gewachsen sei, war dem leider nicht so.
Die Freundschaften, die Henning schloss, waren naturgemäß nie von Dauer. Kaum hatte er sich eingewöhnt, zogen sie weiter, und mit den Gesichtern verblassten auch die dazugehörigen Namen der gerade erworbenen Freunde und gingen über in eine Art Nebel, der mit der Zeit dichter und dichter wurde – bis er jedes Antlitz unkenntlich machte.
Auch deshalb hatte Henning von der Braake Erleichterung über die Entzündung des Bischofs empfunden, denn nur sie war es, die seinem Vater und ihm seit nunmehr zwei Jahren eine Form von Heimat gewährt hatte.
All das erfuhr Isenhart auf ihrem Ritt nach Hambach.
Das Gespräch mit Simon Rubinstein hatte sich bis in die frühen Morgenstunden gezogen. Mit vornehmer Blässe und schwerem Schädel von durchzechter Nacht in den Tag entlassen, nahmen sie zur Kenntnis, dass Aberak von Annweiler nirgends aufgetrieben worden war.
Irrte Henning, und hatte von Annweiler doch seinen angeblichen Weg nach Regensburg fortgesetzt? Oder war er ihnen durch die Maschen gegangen, weil er bei einem Freund Unterkunft gefunden hatte?
Günther von der Braake wurde jedenfalls in den
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