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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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Leiden teilte. Es war Mitgefühl, das er verspürte.
    Und dann war da noch der Trotz, der in ihrem Blick gelegen hatte. Derselbe Blick, den diese Unnaba auf jeden richtete, der ihrer Brut zu nahe kam. Bereit, sich für die Seinen zu opfern, wenn es sein musste. Bereit, sich dem – tatsächlichen oder vermuteten –Gegner mit aller Entschlossenheit entgegenzuwerfen. Hieronymus verspürte Angst vor dieser Kraft, denn im Unterschied zu anderen Menschen, die ihre Kraft verschiedenen Dingen widmeten und sie auf diese Weise in ihrer Wirkung zwangsläufig minderten, legte Marie all ihre Kraft in die Erlangung eines Zieles: Konrad.
    Er war ein kräftiger Bursche, der kein Gramm zu viel mit sich herumschleppte, den Blick gerade, das Wort klar. In diesen Belangen trug Konrad das Erbe seines Vaters weiter. Nicht umsonst hatten die Hübschlerinnen in Spira ein Auge auf ihn geworfen; einem geilen Tattergreis, der sich noch mit siebzig Lenzen im Würgegriff der Libido ins Freudenhaus begab, zogen sie seine Gesellschaft allemal vor.
    Konrad strotzte nur so vor Kraft. Wenn er sich in Spira als Wachmann der Stadt zu erkennen gab, wurde jeder Händel zügig beigelegt. Und falls nicht, konnte er unangenehm werden. Bisher war er auf niemanden getroffen, der nach seinem ersten Schlag noch einmal die Hand erhoben hätte.
    In Konrads Leben gab es nur zwei Lebewesen, vor denen er innigen Respekt empfand: Gweg und Isenhart. Gwegs Loyalität – zumindest empfand er dessen Beutesinn als solches – war unerreicht. Das galt ebenso für die Fähigkeiten, zu denen Isenharts Geist sich aufzuschwingen vermochte – wenngleich er in Henning von der Braake einem Ebenbürtigen begegnet war.
    Sicher, da war noch Sophia. Auch vor ihr und ihrem Vermögen, sich in Heiligster durchzusetzen, empfand er Respekt, aber letztendlich überwog die Liebe zu der Schwester, die ihm geblieben war.
    Wie auch immer, beim Wasserholen passte Hieronymus ihn ab. »Marie ist ein feines Geschöpf, Konrad.«
    »Das ist sie, Vater. Soll ich Euch einen Eimer Wasser in Eure Kammer tragen?«
    »Dem Herrgott gefällt es, meine Kraft noch nicht versiegen zu lassen.«
    »Verzeiht.«
    Hieronymus nickte und nahm das grob geschnittene Gesicht seines Herrn ins Visier. »Sie ist keine Hure«, fuhr er ruhig fort, »vergiss das nicht. Ihre Hoffnungen ruhen in dir und in nichts sonst.«
    Konrad nickte bedächtig. Ihm war die Unzulänglichkeit seines Wortschatzes, wenn es um Herzensangelegenheiten ging, sehr wohl bewusst. Dennoch fühlte er sich zu einer Erklärung genötigt: »Noch nie, Vater, habe ich so tief gefühlt wie in dem Moment, als ich Marie das erste Mal gesehen habe. Aber ich wollte, dass sie ihre Entscheidung für mich aus freien Stücken fällt – nicht aus Abhängigkeit. Deshalb habe ich ihr nie die Hand gereicht.«
    Hieronymus empfand dieselbe Verblüffung wie an jenem Tag, als Konrad ihm anvertraut hatte, sich Barbarossa anschließen und das Königreich Jerusalem befreien zu wollen. Er hatte Konrad unterschätzt, ihm unterstellt, sich Marie nur entzogen zu haben, damit er sie umso leichter auf sein Lager locken konnte. Doch dieses Paradebeispiel der Nächstenliebe ließ ihn verstummen. Gerührt brachte er nur mehr ein Nicken zustande und wandte sich dann ab.
    Konrad sah ihm nach, dem alternden Mann, der sich täglich aufs Neue eines aufrechten Ganges bemühte, was ihm von Tag zu Tag schwerer fiel.
    Er brachte es nicht übers Herz, ihm die Wahrheit zu sagen. Dass er Marie vom ersten Augenblick an begehrt hatte. Sein Beschützerinstinkt speiste sich damals auch aus dem Gedanken der Kreuzfahrer, einander Trost, Kraft und Stütze zu sein. Aber das trat weit in den Hintergrund angesichts jener Tagträume, in denen Marie ihn umklammerte, so sehr an sich presste, als wolle sie ihn ganz und für immer in sich aufnehmen.
    Darum ging es ihm in erster Linie. Ohne Frage, sie war ein zerbrechliches Wesen, aber genau das hatte ihn gereizt. Diesen Reiz barg allerdings auch die vierzehnjährige Tochter des Seilers, die sich in Spira als Hübschlerin verdingte.
    Bei Marie verhielt es sich noch einmal anders, Konrad vermochte es kaum zu benennen. Sie entfaltete ihren Zauber beim Gehen, beim Schöpfen des Wassers und wenn sie – was selten vorkam – sich die Haare wusch. Ihre Zerbrechlichkeit fußte auf einer Verwundung, die so tief sein musste, dass sie niemandem Zugang zu ihrem Innersten gewährte.
    Dieses Wesen zu seinem Vergnügen für seine Bettstatt zu gewinnen, bereitete

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