Isenhart
liegt.«
Hieronymus konnte sich nicht erinnern, jemals eine Ansprache gehalten zu haben, die ihn mehr gefordert hätte.
»Das haben wir nicht getan«, verteidigte Ursel sich.
Hieronymus nickte ungeduldig, er wollte diese Pflicht, die ihm als Verkünder der Worte Christi auferlegt war, so schnell wie möglich erledigt wissen. »Auch hat das Geschlecht deines zukünftigen Gatten nichts verloren in deinem Mund oder … oder Darm.«
Jetzt begann er schon zu stottern!
»Das alles ist widernatürlich«, fing er sich sogleich, » contra naturam. «
Im Anschluss zählte er die Sexualpraktiken auf, die die Kirche verbot, strengstens verfolgte und unter harte Strafe gestellt hatte. Henrick konnte heilfroh sein, dass Edda, das Schaf, nicht sprechen konnte.
Als Hieronymus das, was er als seine Pflicht betrachtete, seine Pflicht gegenüber der Herde, beendet hatte, waren sie beide erleichtert, es hinter sich gebracht zu haben.
Die drei Beutel Wein waren für Simon Rubinstein, der der Traube Gottes mit zunehmendem Alter immer intensiver zusprach. Der Geistliche bezeichnete es als eine Geste aus Heiligster, die Ursel dem Juden überbringen sollte. Aber sie begriff alsgleich den christlichen Gedanken, der dieser Geste innewohnte: Simon Rubinstein sollte – so es Gottes Wille war – viel zu betrunken sein, um ihr beiwohnen zu können.
Auf ähnliche Weise hatte Hieronymus sich auch Konrad von Laurin zur Brust genommen, seinen Fürsten ohne Land. Eines Morgens war er zu Konrads Lager marschiert, weil der es versäumt hatte, die Schafe auf die Weide zu führen. Er schlug die Tür absichtlich so grob auf, dass sie gegen die Wand krachte. Solch einem Müßiggang musste schon im Keim Einhalt geboten werden!
Aber statt den jungen Mann an der Schulter zu packen und wach zu rütteln, blieb er wie zur Salzsäule erstarrt – Lots Weib, endlich fühlte er, wie es ihr ergangen sein musste – auf der Schwelle stehen und starrte verblüfft in zwei Augenpaare. Das von Konrad natürlich und das von Marie, die, ebenso entblößt wie der junge Herr, mit ihm unter einer Decke aus grobem Leinen lag. In ihren Augen las er Scham und ja: Trotz. Sie wussten sehr genau, dass ihre Handlungen unanständig waren.
Hieronymus machte auf dem Absatz kehrt. Im Nachhinein hätte er gerne anders reagiert, wäre nämlich in die Mitte des Raumes getreten, um den beiden den Leviticus zu lesen, jene Verhaltensregeln, die im dritten Buch Mose aufgelistet waren. Aber der Schock, ausgelöst durch den Anblick der beiden zweifelsfrei nackten Leiber, die sich die Nacht davor ganz gewiss nicht mit dem Rezitierenvon Bußpsalmen vertrieben hatten, verschloss ihm die Lippen und raubte ihm die Sprache.
Hieronymus’ Verblüffung speiste sich aus drei Quellen. Marie war die Tochter einer fahrenden Familie und nicht dazu ermächtigt, durch eine offizielle Verbindung mit Konrad in den Besitz von Grund oder Titel zu gelangen. Ganz im Gegenteil. Durch eine Heirat würde Konrad seine adligen Ansprüche weiter vermindern. Eine Wiederauferstehung des Hauses Laurin rückte damit in unerreichbare Ferne. Sigimund von Laurin, der Herr hab ihn selig, wäre darüber entsetzt gewesen.
Auf der anderen Seite – auch das trug zu seiner Verblüffung bei – war diese Zusammenkunft recht überfällig. Nahmen doch alle in Heiligster Anteil an den Blicken Maries, die Konrad galten und die stets unerwidert blieben. Neben der Gemeinschaft von Heiligster verlieh alleine Konrad ihrem Leben einen Sinn. Wäre der junge Herr einem tragischen Unglück zum Opfer gefallen, hätte niemand daran gezweifelt, dass Marie aus eigenem Entschluss ebenfalls aus dem Leben getreten wäre. Um wenigstens im Jenseits mit ihm vereint zu sein.
Doch das wäre ein Trugschluss gewesen, denn der Schöpfer verachtete Selbstmörder und verwehrte ihnen den Weg ins Himmelreich. Die Urtugend der Christenheit, die Vergebung, wich hier der kleinlichen Rachsucht, ein Paradoxon, das aufzulösen Hieronymus sich ohnmächtig fand. Er begnügte sich damit, dass die Wege des Herrn unergründlich waren und der Ausschluss jener, die aus eigenem Willen ihrem irdischen Dasein ein Ende setzten, einem höheren Sinn verpflichtet war, der der menschlichen Einsicht verschlossen blieb.
Kurz und gut: Neben seiner Bestürzung über die Gefährdung der Blutlinie des Hauses Laurin empfand Hieronymus Erleichterung. Maries Leiden war nicht das seine, dennoch verspürte er an diesem Morgen wohltuende Linderung, weil er, als Christ, dieses
Weitere Kostenlose Bücher