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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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ebenfalls auf. Isenharts Augen verfolgten den Weg des Kolkraben in die Lüfte. Und nun sah er, dass Gwegs Flügelspannweite beinahe an die des Bussards heranreichte, der seinen Verfolger bemerkt hatte und einige enge Kurven flog, um die Würmer in Sicherheit zu bringen.
    Der Rabe stieß von oben hinab und verfehlte den Mäusebussard nur knapp – wie Isenhart annahm. Tatsächlich wurde er Zeuge eines Flugmanövers, zu dem außer Kolkraben kaum ein anderer Vogel imstande war. Gweg tauchte hinter dem Schwanz des Bussards unter dessen Flugbahn, wendete sich in einer raschen Bewegung um seine Längsachse und flog auf dem Rücken, fast Brust an Brust mit dem Eindringling. In dieser Position entriss er dem überraschten Bussard die beiden Würmer, überließ sich der Schwerkraft, fiel dem Erdboden entgegen, vollzog die Drehung erneut und fing den Fall ab, um zum Nest zurückzukehren.
    Der Bussard verirrte sich danach nicht mehr in das Revier der Raben.
    »Unglaublich.«
    Isenhart, der sich alleine wähnte, blickte sich überrascht über die Schulter. Henning stand dort, der immer noch dem Mäusebussard nachsah. Begeisterung blitzte in seinen Augen auf. Isenharts Blick fiel auf das, was von der Braake in der Hand hielt – es waren seine Zeichnungen.
    »Ich habe so etwas noch nie gesehen«, sagte Henning und wedelte mit den Zeichnungen, »das ist großartig. Es ist eine Apparatur, die dem Menschen das Fliegen ermöglichen soll, richtig?«
    Henning hatte noch keine Morgenwäsche hinter sich gebracht, sein schwarzes Haar stand ihm seitlich vom Kopf ab.
    Isenhart zögerte. Eine Bejahung dieser Frage dem falschen Mann gegenüber konnte ihn den Kopf kosten. Wortwörtlich. Auf der anderen Seite galt es jetzt. Dieses war der Augenblick der Wahrheit, das spürte er und fand sich selbst gleichermaßen bestätigt und verwundert, dass er auf die Wahrheit setzte – ganz gleich, wie hoch sie ihren Preis veranschlagte.
    »Ja«, platzte es daher fast aus ihm heraus, »es sind Zeichnungen für Flügel. Ich habe Gweg über sechs Monate studiert. Sein Flugverhalten. Und ich weiß, wie er sich in der Luft zu halten vermag. Nur den Mechanismus des Vortriebs habe ich noch nicht durchschaut.«
    Henning verschluckte sich vor Aufregung, er hustete. Isenhart klopfte ihm mit der flachen Hand auf den Rücken, bis von der Braake wieder zu Atem kam. Sein Mund stand offen, die Augen glänzten.
    »Erlaube mir, dass ich dich unterstütze«, brachte er dann hervor. Isenhart musterte Hennings Gesichtsausdruck. Es war mehr als nur ein Angebot, das von der Braake ihm gerade unterbreitete, es war sein innigster Wunsch.
    Wer sonst hätte ihn unterstützt? Wer sonst seine Träume geteilt? Erleichtert nickte er.
    Sogleich führte er Henning in den oberen Teil der Scheune, wo er seine Planungen bisher und erfolgreich umgesetzt hatte. Hier verbarg er sein Allerheiligstes: einen Flügel aus Fichtenholz, so schmal geschnitten und geschmirgelt, dass er gerade noch genug Stabilität aufwies. Am Seitenende abgerundet und mit dünnster Kalbshaut überspannt, die er in mühseliger, stupider Arbeit ihrer Haarwurzeln beraubt hatte.
    Henning von der Braake war von dem Anblick ergriffen. Er ging in die Knie, seine Finger fuhren sanft über das bearbeitete Holz. Er ertastete Isenharts Werk mit Bedacht.
    Die Fingerkuppen übten sanften Druck auf die Haut aus, die die Bespannung bildete. Er nickte, als er im Geist die Schritte nachvollzog, die Isenhart ins unbekannte Neuland unternommen hatte.
    »Ist das Fichte?«
    »Ja. Ich habe das leichteste Holz verwendet.«
    »Schafshaut?«
    »Kalb.«
    Henning von der Braake nickte erneut. Die Beschränktheit ihres Dialogs auf die wesentliche Information mochte auf einen Außenstehenden frei von Gefühlen wirken, aber es war nur der zum Scheitern verurteilte Versuch, mit Worten den Gedanken zu folgen, die sich bereits in vollem Galopp davonbewegten.
    »Du brauchst einen zweiten Flügel.«
    »Ja.«
    Henning erhob sich und maß den Flügel mit kleinen Schritten ab, bevor er den Blick wieder auf Isenhart richtete. Auf diese schmale Gestalt, die ihre Augen gespannt auf ihn geheftet hatte.
    »Ist der Flügel zu lang?«
    »Nein.«
    Isenharts Antwort kam ohne Verzögerung, so überzeugt war er von der Richtigkeit seine Berechnungen.
    »Er muss im Flug eine Hälfte des Körpergewichts und sein eigenes aufwiegen«, fügte er dann hinzu. Henning nickte wie jemand, der exakt diesen Gedanken gehabt hatte und den man ihm nun bestätigte.
    »Kann

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