Isenhart
Luft durch die Haut dringen?«
»Ich habe sie mit Öl versiegelt.«
Henning schüttelte ganz leicht den Kopf. Die Geste war Ausdruck seiner Verwunderung über den Umstand, dass sie sich ausgerechnet im Wirtshaus von Liliths Vater über den Weg gelaufen waren. Er, der Sohn eines Kräuternomaden, eines rastlosen Heilers, der sich zu diesem Zeitpunkt ebenso gut in Konstantinopel wie in Burgund hätte aufhalten könne, und der Sohn eines Schmieds, der wohl nie im Leben seinen Geburtsort verlassen hätte, wenn die Burg Laurin nicht gestürmt worden wäre. Die Leichtigkeit, mit der ihre Lebensbahnen sich verfehlt haben könnten und aller Wahrscheinlichkeit nach auch hätten verfehlen müssen, ließ ihm einen Schauer über den Rücken fahren.
Wie zwei Gestirne, die einsam ihre Ellipsen über das Himmelszelt zogen, Tag für Tag und Nacht für Nacht, stets gewiss, einander für die restliche Spanne ihres Daseins eine Existenz in Einsamkeit führen zu müssen, kreuzten sich gegen jede Hoffnung ihre Bahnen.
Isenhart erriet die Gedanken des anderen.
»Nennen wir es eine Fügung«, sagte er.
»Von Gott gewollt?«, fragte Henning, als sei ihm ein diesbezüglicher Segen lieber.
»Einfach eine Fügung«, antwortete Isenhart.
Seit Gott ihn in der Nacht von Annas Tod verlassen hatte, reichte er ihm nicht mehr die Hand.
Als Ursel vom kleinen Bachlauf nach Spira aufbrach, um die Nacht mit Simon Rubinstein zu verbringen, wollte Sophia sie keinesfalls alleine reisen lassen. Und da Konrad und Marie mal wieder beim Angeln waren, entschloss Isenhart sich, den jungen Damen Eskorte zu sein.
»Ist er ein großer Mann?«, fragte Ursel. Sie passierten gerade die Trauerweide, Isenhart warf einen letzten Blick auf Heiligster, so, wie er es sich an diesem Punkt zur Gewohnheit gemacht hatte.
Sophia schüttelte den Kopf: »Er ist klein. Gedrungen. Aber kräftig.«
Ursel nickte und warf ihrer Begleiterin ein dankbares Nicken zu, aber in Wirklichkeit war die Frage nicht ihrer Neugier, sondern ihrer Nervosität entsprungen. Simon Rubinstein würde in dieser Nacht auf ihr liegen, betrunken vermutlich, und seinen Samen in ihr hinterlassen. Und Ursel hatte keinerlei Handhabe dagegen.
Tatsächlich ruhte Simon Rubinstein in dieser Nacht auf ihr. Sie lag ganz still, wagte kaum zu atmen, während das Gewicht des Juden ihr die Blutbahnen zu den Füßen unterbrach, die daraufhin kalt und taub wurden. Simon schnarchte, wobei sein kräftiger Leib einen würdigen Resonanzkörper darstellte. Ursel vom kleinen Bachlauf betete stumm das Ave Marie hoch und runter, sie versprach dem Herrgott, ihr erstes Kind Christian zu nennen. Als Dank und Lobpreisung für den Gottessohn, sofern Simon Rubinstein nicht doch noch erwachte.
Dabei – ein wenig fühlte sie sich bei diesem Gedanken ertappt – wäre das vermutlich gar nicht so schlimm gewesen. Ihretwegen hatte er den Raum schmücken lassen und ein Bad genommen. Im Anschluss daran hatte der Jude seiner Haut mit Öl Geschmeidigkeit verliehen, sie konnte es riechen. Obwohl in seinen Augen ein erwartungsvoller Glanz nistete, die männliche Gier, waren seine Worte und Gesten voller Ritterlichkeit. Zum ersten Mal in Ursels Leben wurde ihr die vollendete Behandlung einer Dame zuteil. Für diese Stunde, die Rubinstein benötigte, um zweien der drei Beutel Wein den Garaus zu machen, war sie keine klumpfüßige Eierverkäuferin mehr, keine einäugige, nach strengem Dung riechende Bauersfrau, sondern eine Hochwohlgeborene.
Eine Adlige, deren Wirkung sich gerade mal auf den Bereicherstreckte, den die vier Wände bildeten, in denen sie sich befand, in denen es aber nichtsdestotrotz einzig und allein um ihr Wohlbefinden ging.
So war Ursel mit ihren eingeschlafenen Füßen Königin für eine Nacht.
Im Judenviertel zu Spira war es um diese Stunde still, lediglich der Nachtwächter patrouillierte und rief die vollen Stunden aus. An den Hauptkreuzungen verbreiteten Öllampen ihr tanzendes Licht.
Sophia und Isenhart befanden sich in der Gästekammer des Juden gleich unter dem Dach, das an einer Stelle eine breite Lücke aufwies, sodass sie nebeneinanderstehen und auf die nächtliche Stadt blicken konnten. Sie hatten gesalzenen Fisch und Maiskolben mitgenommen, mit dem sie, im Schneidersitz auf den Holzbohlen sitzend, ihren Hunger stillten. Ursel hatte ihnen aus Dankbarkeit für ihre Begleitung die dritte Weinration überlassen, die sie sich teilten.
»Siehst du dieses Licht da?«, fragte Sophia und deutete auf einen
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