Isenhart
schaute hinüber zu seinem Vater, der Erz in die Esse warf und sie keines Blickes würdigte.
»Es gab einen großen Mann unter den Griechen: Pythagoras.«
»War er ein Krieger?«, fragte Konrad. Isenhart verdrehte die Augen. Seitdem Konrad von Laurin sich auf alle erdenklichen Arten mit ihm gemessen und selbstredend in jeder Disziplin den Sieg davongetragen hatte, war es ihm langweilig geworden. Nun galt sein Interesse vermehrt den Geschichten über Krieger. Vor allem der Frage, wie viele Gegner sie erschlagen, erschossen, ertränkt oder erdrosselt hatten.
»Nein«, sagte Walther von Ascisberg, »er war ein Gelehrter.«
Konrad nickte, als habe er zu seinem Leidwesen schon mit dieser Antwort gerechnet.
»Der Satz des Pythagoras lautet, dass man aus den zwei rechtwinklig angeordneten Linien eines Dreiecks die Länge der dritten Linie berechnen kann. Und dass die Flächeninhalte der Quadrate der beiden bekannten Linien dem Flächeninhalt des Quadrats der unbekannten Linie entsprechen.«
Er versah sowohl die beiden bekannten Seiten des Dreiecks mit einem entsprechenden Rechteck wie auch die unbekannte Linie.
Isenhart starrte wie gebannt auf diese Zeichnung im Sand.
»Wofür brauch ich das?«, entfuhr es Konrad mit einer Inbrunst, die keinen Zweifel an seinem Widerwillen ließ.
»Dieser Satz«, erwiderte von Ascisberg mit unterdrückter Feierlichkeit in der Stimme, »findet in der Mechanik und der Berechnung der Dinge seine Anwendung. Man kann damit das Land vermessen. Oder ihn in der Architektur verwenden.«
»Aber nicht für den Kampf«, vermutete Konrad.
Walther von Ascisberg nickte. Ein wenig Müdigkeit lag in dieser Bewegung. »Nicht für den Kampf«, bestätigte er.
»Habt Ihr viel gekämpft?«
Von Ascisberg zögerte, Bilder zogen auf, von denen er – vergeblich, wie Konrad ihm vor Augen führte – glaubte, sie für immer verdrängt zu haben. »Nur, wenn es sein musste.«
Konrad ließ sich von dieser Antwort nicht entmutigen, es war, als habe er sie gar nicht gehört. Seine Augen begannen zu leuchten. »Hattet Ihr Furcht?«
»Jedes Mal.«
Konrads Augen verloren etwas von ihrem Glanz. »Mein Vater erzählt, Ihr habt bei Doryläum vier Muselmanen entleibt. Mit einem Zweihänder.«
Die Begeisterung des Jungen war von Ascisberg nicht fremd, sie war es, die ihn damals in diesen Kreuzzug getrieben hatte. »Der Herr hat meine Hand geführt«, antwortete er.
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5.
Anno Domini 1187
s ist ein großes Unglück geschehen«, sagte Sigimund von Laurin. Er stand oben an der Brustwehr und blickte hinab in den Burghof, wo sich das Gesinde auf sein Geheiß hin versammelt hatte.
Die Jahre, die hinter ihm lagen, hatten sich in seinem ganzen Wesen manifestiert. Aber die Falten in seinem Gesicht verliehen ihm Reife, die Forschheit seines Ganges war echter Würde gewichen, sein Blick hatte an Milde gewonnen.
An diesem Morgen, dem 24. September 1187, hatten sich neben Konrad und Isenhart auch Anna und Sophia im Burgfried eingefunden. Isenhart war nicht überrascht, Walther von Ascisberg neben dem Burgherrn zu sehen. Gegen Mitternacht war Walther mit zwei Begleitern eingetroffen und hatte Isenhart die Obhut über ihre Pferde übertragen. Deren schweißbedeckte Körper ließen auf einen langen Ritt schließen.
Es waren die neuesten Nachrichten aus dem Morgenland, wie Isenhart nun erfuhr, die Walther von Ascisberg bewogen hatten, noch in der Nacht anzureisen.
»Die Ungläubigen haben ein christliches Heer am See Genezareth vernichtet«, fuhr Sigimund fort, »der Allmächtige hat den Blick von ihnen gewandt.«
Ein Raunen ging durch die Menge, ängstliche Blicke wurden getauscht, die wenigsten hatten eine Vorstellung davon, wie weit der See Genezareth entfernt lag und wie es dort überhaupt aussah.
»Niemand wird heute arbeiten. Vater Hieronymus hält die Totenmesse bis zur sechsten Stunde. Wir alle wollen für das Seelenheil der Gefallenen beten.«
Hieronymus trat neben den Burgherrn, nickte den Leuten zuund setzte sich dann in Richtung Kapelle in Bewegung. Das Gesinde folgte ihm, die Leute tuschelten. Isenhart und Konrad blieben zurück, und als Isenhart zur Brustwehr hinaufschaute, begegneten sich Walthers und sein Blick.
Selbstredend war Konrad an jedem Detail der Schlacht interessiert, und so erfuhren die Jungs von ihrem Lehrer das, was diesem in Regensburg selbst zu Ohren gekommen war: Am 4. Juli 1187 hatte Saladin der Christenheit eine Lektion erteilt, die sich für immer in ihr Gedächtnis brennen
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