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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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Neugier. »Hab von dir gehört«, sagte er dann. Er hob zwei Leinensäcke auf, die er vor seiner Hütte abgestellt hatte, und reichte sie Isenhart. »Eicheln und Bucheckern«, kommentierte er deren Inhalt.
    Die Eicheln würde man an die Schweine verfüttern, und aus den Bucheckern Öl gewinnen. Isenhart griff nach den Säcken, kurz berührten sich ihre Hände. Giselbert zuckte zurück. Der eine Sack ging zu Boden.
    Isenhart war irritiert wegen der Reaktion, registrierte dann aus den Augenwinkeln, wie Konrad mit einem kleinen Schritt Abstand von ihm nahm und ihn ebenso interessiert wie besorgt beobachtete.
    »Mich zu berühren bringt Unglück«, stellte Giselbert fest.
    »Warum bringt es Unglück?«, fragte Isenhart auf dem Rückweg. Selbstverständlich schleppte er beide Säcke, während Konrad im Gehen an einem Stock schnitzte.
    »Alle Carnifexe besitzen dunkle Kräfte«, erwiderte Konrad.
    »Was für Kräfte?«
    »Dunkle eben.«
    »Was für welche denn?«
    Konrad blies die Wangen auf: »Kannst du nicht mal etwas so nehmen, wie es ist?«
    Isenhart schwieg. Das war die Haltung, der er allerorten begegnete, wenn er nach dem tieferen Sinn einer Sache fragte, wenn er nach Antworten auf das Warum suchte. Der Pinkepank, Konrad, auch Hieronymus und selbst Sigimund von Laurin nahmen die Dinge einfach als gegeben hin.
    Den einzigen Lichtblick in dieser Hinsicht stellte Walther von Ascisberg dar. Während Hieronymus langsam der Lehrstoff ausging – auch das Buch der Bücher war endlich –, fieberte Isenhart den seltener werdenden Stunden entgegen, in denen Walther von Ascisberg sein Wissen mit ihnen teilte.
    Denn es hatte einen Grund gegeben, weshalb von Ascisberg die Armbrust angesprochen hatte. In der nächsten Unterrichtsstunde präsentierte er ihnen eine, die in Konstantinopel erfunden und in Mailand konstruiert worden war. Konrad nahm sie sofort und ungefragt an sich, zielte mit ihr und befand, er halte eine Fehlkonstruktion in den Händen. Denn die Enden des Bogens zeigten nicht in seine Richtung, sondern deuteten von ihm weg.
    »Spann den Bogen«, forderte Walther von Ascisberg ihn auf.
    Konrad von Laurin kam der Aufforderung nach und stellte fest, dass er durch das Spannen der Sehne auch die Bogenenden in die richtige Position zog – was einen Mehraufwand an Kraft erforderte.
    »Es ist ein besonderer Bogen«, erklärte von Ascisberg, »sehr teuer in der Herstellung. Ein Reflexbogen. Er besteht aus dehnbarem Horn und den Achillessehnen von Rindern.«
    »Von wie vielen?«, fragte Isenhart.
    »Von rund fünfzig Rindern«, antwortete ihr Lehrmeister, »das macht ihn so wertvoll.«
    »Er ist schwer zu spannen«, befand Konrad, der sich mit der seltsamen Konstruktion nach wie vor nicht anfreunden konnte.
    »Aber der damit abgeschossene Bolzen trifft sein Ziel mit doppelter oder dreifacher Wucht«, erwiderte von Ascisberg, »er kann die Glieder von Kettenhemden sprengen.«
    Tatsächlich hatte Walther von Ascisberg die Armbrust mitgebracht, um sie in der Impetustheorie zu unterweisen.
    »Ein Gegenstand, in diesem Fall der Bolzen, kann nur in Bewegung geraten, wenn eine äußere Kraft auf ihn wirkt. Hier der Schwung, den ihm die Sehne verleiht. Das ist die Aristotelische Lehre von der Bewegung der Dinge. Die kann aber nicht den Abwärtsbogen erklären, den der Bolzen beschreibt, bevor er zu Boden fällt. Also muss es eine zweite Kraft geben, die auf ihn wirkt. Die ihn zu Boden zwingt.«
    »Und was soll das sein?«, fragte Konrad.
    »Das eigene Gewicht«, vermutete Isenhart.
    Von Ascisberg sah ihn mit jenem Erstaunen an, das mittlerweile eine gewisse Routine erlangt hatte. »So ist es«, stellte er fest. Seine Augen ruhten auf Isenhart oder vielmehr in den Augen des Jungen.
    »Das war doch geraten«, hoffte Konrad.
    Isenhart zögerte einen Augenblick, bevor er nickte.
    Aber Walter von Ascisberg glaubte ihm nicht. »Ich frage mich seit Jahren«, sagte er daher, »wie ich die Höhe von Dingen aus der Distanz bestimmen kann.«
    »Man kann hingehen und sie abschreiten«, erwiderte Konrad.
    Walther von Ascisberg nickte, ein geduldiges Lächeln umspielte seinen Mund. »Ich sagte Distanz. Wem man die Höhe aus der Ferne messen kann, muss man nicht mehr hingehen«, antwortete er.
    Isenhart hatte den Wink verstanden. Es war eine Herausforderung, der er sich keineswegs gewachsen fühlte. Walther von Ascisberg war weit und breit der intelligenteste und weiseste Mensch, den er kannte. Eine Antwort auf eine Frage zu finden, die sein

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