Isenhart
verflüchtigte sich.
»Habt Ihr zufällig auch Fleisch?«, fragte Henning.
»Nur die Grütze. Und leicht schimmliges Brot – der Regen«, fügte Anselm erklärend hinzu.
Auf dem Schankbrett brannte eine Öllampe, auf dem Tisch, an dem sie saßen, eine Talgkerze. Zusammen mit dem Ofenfeuer bildeten sie die einzigen Lichtquellen im Raum, der zwar sehr düster war, aber auch wohlig wirkte. Geborgen. Der Regen, der stetig gegen die Außenwand und das Dach fiel – an zwei Stellen war es undicht –, erzeugte ein leises Trommeln, das sich sanft über den Raum legte und alles einzuhüllen schien.
»Petrissa, Sibille! Kundschaft!«
Zwei junge Frauen in schmutzigen Nachthemden, dünnen, von Motten zerfressenen löchrigen Decken um die Schultern und Hüften geworfen, kamen aus dem Nebenraum, offenbar hatten sie bereits geschlafen. Trotz des Dämmerlichts blinzelten sie, als träfe sie der helle Sonnenschein.
Petrissa war vielleicht fünfzehn, sie war groß für ihr Alter, ihr Haar war dunkel, und als ihr und Konrads Blick sich kreuzten, lächelte der Stammhalter des Hauses Laurin. Sibille folgte ihr, der Busen, der sich unter ihrem Stoff abzeichnete, war noch flach. Isenhart schätzte sie auf dreizehn. Gott war es ein Wohlgefallen gewesen, auf ihrer Nase Sommersprossen wachsen zu lassen, was er freilich erst erkannte, als die Schwestern sie mit Bier in Holzkrügen versorgten.
Die Mädchen beäugten sie mit unverhohlener Neugier, wobei Petrissa immer dann, wenn sie Konrad ansah, sein frivoles Grinsen erwiderte. Anselm nahm davon zwar Kenntnis, aber offensichtlich war er das schon gewohnt, denn er ließ sich mit keiner Silbe darüber aus.
Als er ihnen die Buchweizengrütze in kleinen Holzschalen reichte, nahm Petrissa ungefragt neben Konrad Platz und nippte von seinem Bier. Ihre Schwester holte sich einen Schemel, auf dem sie an der Kopfseite des Tisches Platz nahm.
Die vier Männer hatten selten etwas Schlechteres gegessen, aber die Strapazen des Tages ließen sie kräftig zulangen.
»Züchtigt sie, wenn sie Euch belästigen. Ich muss noch Wein panschen«, ließ Anselm sie wissen, bevor er sich anschickte, im Nebenraum zu verschwinden.
Da klopfte es an der Tür, an die Anselm trat. »Wer da?«
»Wir sind’s!«
»Meine Söhne«, sagte Anselm zu den Besuchern und schob den Querbalken beiseite, um die Tür zu öffnen. Zwei junge Männer,beide um die zwanzig, traten ein, sie waren ebenfalls vom Regen durchnässt.
»Ludolf und Huste«, stellte Anselm sie seinen Besuchern vor.
Die beiden setzten Reisende über den Rhein, wie sie erfuhren. Von dem, was die Herberge abwarf, stellte Anselm klar, konnten sie nicht leben. Ihre einzige Alternative bestand darin, gen Mannenheim zu ziehen und Fischer zu werden. Aber das Haus hatte schon seinen Eltern gehört, und er wollte es nicht aufgeben.
»Schmeckt Euch das Bier?«, fragte Petrissa in die Runde, während ihre Augen allein Konrad galten.
»Ausgezeichnet«, antwortete der und nahm demonstrativ einen tiefen Schluck aus seinem Humpen.
Petrissa und Sibille strahlten. »Wir haben es selbst gebraut«, verriet Sibille.
Konrad setzte den Humpen wieder ab und sah von der einen zur anderen. »Alleine dafür müsste ich euch beide ehelichen«, verkündete er.
Die Mädchen kicherten.
Isenharts Blick fiel wieder auf die Wölbung von Sibilles Brust, über der der Stoff sich spannte. Das, was er als junger Mann bei Anna entdeckt hatte, das, was seine Welt ins Wanken gebracht und jede Logik außer Kraft gesetzt hatte, dieser Anblick entführte seinen Geist nun nicht in eine Welt, deren Gesetze ihm fremd waren, sondern auf einen einzigen Punkt, der keineswegs neu war. »Das Herz ist der Schlüssel«, sagte er ruhig und bestimmt.
»O ja«, stimmte Petrissa zu und blickte Konrad tief in die Augen, während ihre Hand sich auf seinen Oberschenkel legte. Konrad ermutigte sie mit einem Lächeln, es nicht dabei zu belassen.
»Niemand«, fuhr Isenhart fort, »tötet ohne Grund. Niemand steht morgens auf und sagt sich: Heute werde ich jemanden töten. Einfach so. Es gibt immer einen Grund. Aus Hass. Eifersucht. Aus Lust und aus Habgier. Aber nichts von alledem hat das Herz zum Ziel. Er tötet nur aus einem Grund: Er will das Herz. Wozu? «
»Vielleicht isst er es«, sagte Petrissa leichthin. Und war erschrocken von dem Ernst, der in den Blicken lag, die man ihr zuwarf.
»Wie kommst du darauf?«, fragte Günther von der Braake interessiert.
Ihr Vater kam mit seinen Söhnen und frisch
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