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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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aufbrechen: Lass sie ihre Flügel benutzen und aufsteigen!«
    Isenhart musste trotz der Kälte und des Regens lächeln, als er sich Walthers Begeisterung entsann.
    »… und dann nicht eine Scheibe zu sehen sein?«
    »Was?«, fragte Isenhart, der nicht zugehört hatte.
    Henning nahm erneut Anlauf: »Was wir bei einer Mondfinsternis sehen, ist die Gestalt der Erde. Wandelten wir auf einer Scheibe, erschiene die Form der Erde auf dem Mond als ein Strich. Tatsächlich aber können wir von dem Schatten auf das Objekt zurückschließen. Und wir sehen: einen Kreis. Das Abbild einer Kugel, wenn man sie auf eine Fläche reduziert.«
    »Das ist das, was Aristarchos von Samos aus der Mondfinsternis geschlossen hat«, ergänzte Günther von der Braake, »demnach befinden wir uns auf einer Kugel, was auch deswegen mehr einleuchtet, weil die Kugel die göttliche Form ist.«
    Konrad sah sich aufmerksam um. Keine Wölbung weit und breit.Was hatte denn ein Strich auf dem Mond mit der Form der Erde zu tun? Konrad hegte den leisen Verdacht, sie machten es seinetwegen manchmal absichtlich kompliziert.
    »Es gibt ein Muster«, sagte Isenhart in die Stille hinein, »ein Muster, wie er tötet.«
    Was für die anderen überraschend kam, war das Resultat von Isenharts Überlegungen, die darauf fußten, verstehen zu wollen. So wie dem Fliegen ein Prinzip innewohnte, das aus vielen einzelnen Faktoren vor seinem geistigen Auge zu einer Struktur erwuchs, so existierte auch für die Taten von Michael von Bremen alias Aberak von Annweiler eine Textur, die aus erkennbaren Einzelheiten bestand. Und die umriss er nun den Freunden.
    »Er mordet erst mit einem Schnitt durch die Kehle. Später benutzt er einen dünnen, harten Gegenstand, den er seinen Opfern ins Hirn treibt. Ich habe mich gefragt, warum Michael von Bremen die Art zu töten geändert hat.«
    »Und die Antwort?«, fragte Günther interessiert.
    »Er lernt. Was ist sein Bedürfnis? Das Herz. Er tötet nicht um des Tötens willen, ihm geht es um das Herz. Der Stich ins Zentrum des Gehirns tötet das Opfer vermutlich auf der Stelle. Das geht schneller vonstatten als bei einem Opfer, das verblutet.«
    Kurz erhob sich ein Bild aus seinem Gedächtnis, das er bis an sein Lebensende ohne jede Verblassung immer wieder würde abrufen können: Annas Gestalt im Schnee, der große, dunkle Fleck, der ihren Körper umgab.
    »Bei Ketlin hat es vier Stiche gebraucht«, hielt Konrad entgegen, »auch das hat ihn Zeit gekostet.«
    »Aber bei Lilith waren es nur noch zwei«, wandte Henning ein.
    Isenhart nickte. Das war es, worauf er hinauswollte. »So wie ein Bogenschütze sich durch Übung mit jedem Schuss verbessert, verbessert er die Technik des Tötens. Und jedes Mal entnimmt er ihnen das Herz. Auch darin hat er sich gewissermaßen verbessert. Am Anfang hat er die Rippenbögen gebrochen, später zersägt. Anfangs hat er den Torso weit geöffnet, später nur an der Stelle, die für ihn von Bedeutung war. Alles zielt darauf ab, keine Zeit zu verlieren.«
    »Und das Risiko seiner Entdeckung zu minimieren«, fügte Günther von der Braake hinzu.
    »So ist es«, bestätigte Isenhart, »das ist das Muster seiner Taten. Seine Handschrift. Aber diese Handschrift liegt nicht nur in der Tat selbst, sondern auch in der Auswahl seiner Opfer. Auch sie haben eine identische Struktur. Sie sind jung, sie sind weiblich, und sie sind unbefleckt.«
    »Aber Anna …«, warf Konrad ein.
    »Das hatten wir doch schon geklärt«, unterbrach Isenhart.
    Der Regen ließ nicht nach, das Himmelslicht schwand, und ihnen war unsagbar kalt.
    »Mit etwas Glück finden wir ein Gasthaus auf dem Weg«, meinte Konrad.
    Die anderen belächelten ihn. Ein Gasthaus – in dieser Einöde aus Wäldern und Sümpfen!
    »Jedenfalls ist es egal, ob wir uns beim Warten oder Gehen den Tod holen«, stand Günther dem letzten Laurin bei. Der Medicus ging zu seinem Pferd, nahm die Zügel in die Hand und zog los. Und die anderen folgten ihm.
    Nur eine Stunde später saßen sie schlotternd um einen Kamin herum.
    Es war Nacht geworden, und genau jene Wolken, die ihre nasse Fracht über ihren Köpfen entluden, hatten ihnen auch den Blick auf die Sterne verwehrt, wodurch sie ihrer Kursbestimmung beraubt waren. Wider alles Erwarten entdeckte Konrad, der sie nun anführte, abseits des Weges, der sich am Rhein orientierte, einen Lichtschein im Wald.
    Sie lauschten, aber bis auf den Regen, der in einschläfernder Regelmäßigkeit auf das Blattwerk und in das

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