Isenhart
weilte er an einem Ort, an dem sie keinerlei Zugriff mehr auf ihn hatten.
Konrad von Laurin betrübte vor allem um seiner Schwester und Alexander von Westheims willen, nicht mit eigenen Händen Rache genommen zu haben. Der innere Frieden, den er sich davon versprochen hatte, blieb aus.
»Ich begreife nicht, warum er das getan hat«, bekannte Günther von der Braake. Auch in seinen Worten schwang Enttäuschung über den Ausgang ihrer Mission mit.
»In Spira wäre er bei lebendigem Leib verbrannt worden«, sagte Henning.
»Oder man hätte ihn gevierteilt«, fügte Konrad hinzu, »er wusste wohl recht genau, was ihn erwartet.«
Es war, als hätte Michael von Bremen letztlich doch den Sieg über sie errungen. Die Freude darüber, dass der Mord an Anna nun gesühnt war, schmeckte schal.
Isenhart bedauerte den raschen Tod des Mannes noch aus einem ganz anderen Grund. Die Zeichnungen, auf die sie gestoßen waren, wiesen auf ein unvorstellbares Wissen hin, das Michael von Bremen nun mit sich genommen hatte, und keine irdische Macht war dazu imstande, Isenhart an diesen Erkenntnissen teilhaben zu lassen. Sie waren für immer verloren.
Isenhart hätte weitere vier Finger dafür gegeben, sich nur eine Stunde lang mit Michael von Bremen austauschen zu können. Aber diesen Wunsch behielt er wohlweislich für sich.
[Menü]
21.
ilbrand von Mulenbrunnen vermutete Konrad in Frankreich, wie Simon Rubinstein von einem der zahlreichen Kaufleute erfahren hatte, die bei Spira übersetzten. Der Abt ließe schon lange nicht mehr nach Sigimunds Erben suchen. Da diese Nachricht mit dem Tod von Michael von Bremen zusammenfiel, fühlten sie sich in Heiligster von einer doppelten Umklammerung befreit.
Konrad befand sich nicht mehr in Gefahr, und leichten Schrittes begaben Isenhart und er sich auf die Jagd, bei der sie nun von Gweg, Unnaba und Dolph begleitet wurden.
Die drei Kolkraben deckten auf ihren Erkundungsflügen eine weite Fläche ab, sodass sie in Heiligster auch in den Wintermonaten keine Not leiden und kein frisches Fleisch entbehren mussten.
Verirrte sich ein Turmfalke oder ein Mäusebussard in ihr Revier, trieben die Raben ihren Schabernack mit dem Eindringling, sie schossen in gewagten Bahnen um ihn herum, zupften ihn am Schwanz oder stibitzten ihm die Beute aus dem Schnabel. Während Dolph, seinem Vater vertrauend, auch auf Konrads und Isenharts Schultern Platz nahm und sich an ihren Ohren und Augenbrauen zu schaffen machte, blieb Unnaba unnahbar.
Als Marie sich in den Tagen vor Weihnachten zum zweiten Mal erbrach, war Hieronymus voller Freude. Er zündete vor Begeisterung so viele Talgkerzen an, dass sie mehrere Nächte ohne Licht waren, bis Nachschub hergestellt wurde.
»War das wirklich nötig?«, fragte Sophia, die mit Ursel vom kleinen Bachlauf gezwungen war, im Dämmerlicht zu spinnen.
»Und ob«, strahlte der Geistliche, »und ob!«
Isenhart glaubte, Konrad etwas breitbeiniger auftreten zu sehen, manchmal bildete sich dieser Tage ohne ersichtlichen Grund einLächeln auf seinem Gesicht, und er schaute wie ein glückseliger Idiot in die Ferne.
»Komm rein«, sagte Isenhart, »es schneit.«
Konrad hockte draußen vor dem Brennholz, das er gehackt hatte, und starrte in den Himmel, seine Lippen waren schon blau.
»Ja«, sagte er ebenso abwesend wie sanft, »ist das nicht schön?«
Walther von Ascisberg hatte am Weihnachtstag den Weg von Tutenhoven auf sich genommen.
»Hieronymus benimmt sich, als würde er Vater werden«, vertraute Isenhart ihm an. Doch statt auf Verständnis stieß er auf ein Augenpaar, das gegen die Feuchtigkeit anblinzelte, die sich an ihren unteren Rändern gebildet hatte.
»Dem Herrn sei Dank setzt sich die Linie der Laurins fort«, merkte Walther an.
Als Konrad ihnen gut gelaunt über den Weg lief, fragte von Ascisberg ihn, wie sie den Bewahrer der Blutlinie zu nennen gedachten.
»Sigimund«, antwortete Konrad.
Walther wandte sich ab, damit niemand Zeuge seiner unmännlichen Tränen wurde.
»Ihr wisst doch überhaupt nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird«, wandte Sophia ein.
»Es wird ein Junge«, ließ Konrad seine Schwester wissen, und in seiner Stimme schwang nicht der Hauch eines Zweifels mit.
»Amen«, sagte Gweg, der auf seiner Schulter saß.
Mithilfe der Frauen schmückte Hieronymus das Wohnhaus mit Tannenzweigen, wie er es schon Jahre zuvor in Bruchsal getan hatte, weil Walther ihn darum ersucht und das Leben von Sigimunds Sohn an einem seidenen Faden gehangen
Weitere Kostenlose Bücher