Isenhart
hatte. Darüber hinaus boten grüne Zweige Schutz gegen die bösen Geister, wie jedermann wusste.
»Annas Mörder ist tot«, eröffnete Isenhart, der mit Walther und Sophia am Kanal stand, »er hat sich selbst gerichtet.«
Für Weihnachten war es ausgesprochen mild, aber nichtsdestotrotz kroch ihnen die Kälte unter die Kleider.
»Wer war es?«
»Michael von Bremen, ein Nobile«, antwortete Isenhart, »in derHungersnot 1191 hat man auf seiner Burg Menschen gegessen. Auch die Herzen.«
Und dann erzählte er den beiden die ganze Geschichte, ihre Entdeckung auf dem Friedhof zu Spira, den Hinweis von Brid, die Geschehnisse in Anselms Herberge und schließlich ihr Zusammentreffen mit dem Mann selbst.
Während er die beiden über die Einzelheiten aufklärte, meinte Isenhart zu spüren, wie Walther von Ascisberg sich zweiteilte. Seine Gestalt verharrte neben ihnen und schien zu lauschen, aber es war nur mehr eine Hülle, unbelebt und unbehaust, weil der Geist, der ihr innewohnte, sich entfernte, vom Wind dahingetragen wurde an einen Ort, den Isenhart nicht zu betreten in der Lage war.
Als er geendet hatte, schüttelte Sophia voller Abscheu den Kopf, und Walther war wieder ein Ganzes. Ein Ganzes, das ihm einen sehr ernsten Blick zuwarf. Von der anfänglichen Gebrechlichkeit, die sich ansonsten des Öfteren bei Isenharts Mentor bemerkbar machte, war nichts zu spüren.
»Gib mir zehn Tage, Isenhart«, sagte er, »dann komm nach Tutenhoven.«
»Wenn es etwas gibt, das Ihr wisst …«, begann Sophia, aber Walther vollführte mit der rechten Hand eine herrische Geste, die ihren Mund verschloss. »Schweig«, befahl er mit schneidender Stimme.
Diese Unerbittlichkeit kannten Isenhart und Sophia noch nicht an Walther.
»Warum erzählt er mir nicht, was er weiß?«, fragte Isenhart leise, nachdem von Ascisberg auf sein Pferd gestiegen und davongetrabt war.
»Ich habe von dir geträumt«, sagte Sophia.
Isenhart riss seine Augen von Walthers Anblick los. »Und was hast du gesehen?«, fragte er.
»Zwei tote Augen«, sagte Sophia, die dabei selbst leicht erzitterte, wobei nicht auszumachen war, ob das an ihrer Weissagung lag oder an dem eisigen Wind.
In der ersten Januarwoche 1196 jagte ein Sturm über den Südwesten des Heiligen Römischen Reiches. Neben den Gewittern, vor denen sie sich in Heiligster verschanzten, brachte er Böen mit sich,die ein paar Bäume entwurzelten – und Schnee. Der Kanal vereiste, Henrick und Ursel dichteten den Hühnerstall mit einer doppelten Schicht Stroh ab, und die Kolkraben suchten in der Nähe des Ofenrohrs Schutz und Wärme.
Unten, am Ofen selbst, bereitete Hieronymus höchstpersönlich jeden Abend das Lager für Marie. Marie hier, Marie dort, Marie hat gegessen, Marie hat nach Südwesten geschaut, Marie hat sich über den Bauch gestrichen. So ging es in einem fort und wuchs sich für alle anderen in Heiligster zu einer Nervenprobe aus.
Hatte der Geistliche in ihr dereinst einen ungünstigen Umgang für den jungen Laurin ausgemacht, verdrehte ihre Schwangerschaft seine Haltung ins Gegenteil. Das Beste war sie, was Konrad passieren konnte, was ihm in seinem nicht eben untadeligen Leben endlich Halt und Hafen bot. Marie selbst empfand Stolz und Geborgenheit. Sie würde – so Gott wollte – trotz ihrer profanen Herkunft die Blutlinie der Laurins erhalten, eine große Ehre, zweifellos.
Trotz der frostigen Temperaturen erschien Henning und Isenhart der Sturm als ideal für einen erneuten Flugversuch. Nach ihrer Rückkehr aus Tarup hatten sie eine Konstruktion ersonnen, um die beiden Flügel zu einem einzigen zu verbinden, anschließend die Häute erneut versiegelt – eine undichte Stelle hätte die »Unterluft« zu einem unkalkulierbaren Risiko gemacht –, danach den Rahmen wieder und wieder abgeschliffen, bis Henning vorschlug, die einzelnen Hölzer dieses Rahmens auszuhöhlen, um das Gleitgerät von überflüssigem Gewicht zu befreien. Isenhart ärgerte sich kurz, weil er nicht selbst auf diesen Gedanken gekommen war – so könnten sie ihr Konstrukt im besten Fall um knapp ein Drittel an Gewicht reduzieren.
Walther von Ascisberg würde erst übermorgen nach Tutenhoven zurückkehren, Günther von der Braake kümmerte sich um einige schwere Fälle in Spira, und Konrad wollte mit alledem nichts zu tun haben. »Es ist wider die Natur«, sagte er.
Sie standen oben im Heuboden der Scheune, wo sie vor neugierigen Blicken geschützt ihrem Vorhaben nachgehen konnten.
»Nein,
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