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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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an der Brustwehr in die Hocke und warf einen Blick hinab, wo die Reihe derer, die den Zehnten ablieferten, sich kontinuierlich verkürzte. Henning hockte sich neben ihn.
    Beide überkam kurz – und darüber musste zwischen ihnen kein Wort des Einvernehmens getauscht werden, nicht mal ein Blick – der Gedanke, zu zweit alleine zu sein.
    »Ich hatte diesen Gedanken schon früher«, begann Isenhart zu erzählen und kehrte damit zu dem Gedanken des Ursprungs zurück, »und dabei geht es um das Wesen der Seele. Was macht denn diese fünfzig Grän aus? Was trägt die Seele mit sich? Wenn ihr Wesen nicht das desjenigen spiegelt, aus dem sie emporfährt, dann ist sie beliebig.«
    Henning sah ihn von der Seite an. Isenhart hatte schon immer das Bedürfnis zum Teil völlig fremder Menschen geweckt, ihn mit Essbarem zu versorgen. Sein Körper war von einer gespannten Sehnigkeit durchzogen, die – so erschien es Henning – durch die Reise nach Toledo sogar noch ins Extrem geführt worden war.
    Henning von der Braake nickte: »Dann ist sie beliebig. Und Beliebigkeit ist ohne Wert.«
    »So ist es«, ergriff Isenhart wieder das Wort, »vielleicht sind wir Menschen überhaupt nicht die Krone der Schöpfung.«
    Die Verblüffung in Hennings Miene war echt. »Du glaubst, es gibt noch eine Schöpfung, die über uns steht? Ich meine: außer Gott?«
    »Nein, es … es war nur ein Gedanke.«
    »Und was soll das sein?«
    »Möglicherweise ist es unsere Bestimmung«, sagte Isenhart leise und wählte seine Worte mit der Bedachtsamkeit eines Mannes auf der Pirsch, »vielleicht überschätzen wir den Sinn unserer Existenz. Wenn du dich und mich und alle anderen Menschen aus dem Zentrum rückst, wenn du den Fokus auf die Seele legst, auf nichts sonst,was spricht dann dagegen, dass sie ein eigenständiger Organismus ist?«
    »Das wäre eine Trennung von Mensch und Seele«, konstatierte Henning.
    Isenhart spürte die Ablehnung seines Gedankens, obwohl sie unausgesprochen blieb. Doch anders als sonst kümmerte es ihn nicht. »Das ist der Kern der Überlegung«, bestätigte er den Einwand des jungen von der Braake, »darum geht es. Und nur dann hat es Sinn. Nur dann, wenn man die Position der Seele einnimmt. Ganz offensichtlich benötigt sie den menschlichen Körper, sonst würde sie sich nicht in ihm niederlassen und in uns, nun ja, nisten.«
    »Du … du meinst, wir sind nur Behältnisse? «
    »Ja. Denn sie streifen uns ab, heißt es nicht so? Sie lassen ihre körperlichen Gefängnisse hinter sich. Das sind wir. Und die Seelen eigenständige Wesen, die in uns andauern, bis wir sterben. Sie verlassen uns, weil sie sonst auch untergehen. Sie entsagen ihrem Wirtskörper, um sein Schicksal nicht teilen zu müssen. Sie wollen nicht sterben.«
    Henning von der Braake wandte den Blick ab und ließ ihn über den Tannenhain im Südwesten streifen. So ein abwegiger Gedanke war ihm noch nie gekommen, dabei war das Prinzip, das Isenhart anwandte, ganz einfach. Er versetzte sich schlicht in die Sichtweise eines anderen, in diesem Fall in jene der Seele. Und obwohl der Schritt dorthin ein ganz kleiner war, änderte sich damit doch alles.
    »Dann sind wir nur Stationen?«
    »Es ist nur ein Gedanke«, beschwichtigte Isenhart. Doch Hennings Mimik ließ keinen Zweifel. Dieser Gedanke hatte den Geist des Freundes befallen und tobte sich nun in seinem Kopf aus.
    »Vielleicht«, fuhr Isenhart ruhig fort, »sind die Seelen die Bewahrer der besten Gedanken. Sie nehmen die klügsten Ideen in sich auf, sie profitieren von unseren Erfahrungen, und auf diese Weise sind auch die Seelen nur Boten. Bewahrer des Wissens.«
    Bisher hatten sie in ihren Gesprächen stets Bahnen betreten, die Henning nicht gänzlich unbekannt waren. Diesen oder jenen Teilaspekt hatte sein ruheloser Geist bereits zuvor gestreift, doch dieses Mal nahm Isenhart ihn an die Hand und führte ihn in Gefilde, in denen noch kein Mensch zuvor seinen Fußabdruck hinterlassenhatte. »Sie konservieren das Wissen«, fuhr er fort, »sie behüten die besten Gedanken.«
    »Aber für wen«, fragte Henning von der Braake, »cui bono?«
    »Es ist ein Wettstreit unter den Besten der Besten«, antwortete Isenhart, und vor Begeisterung begannen seine Wangen zu glühen, »ein Wettstreit, der seit Jahrhunderten andauert, seit der Schöpfung. Und andauern wird bis zum Jüngsten Gericht. Und vielleicht«, er holte tief Luft und gab sich einen Ruck, »und vielleicht auch darüber hinaus. Es ist der Wettkampf der

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