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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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in einer Ausformung, die nichts Minderes als den Tod verlangte, oder ein forschender Geist, der vor nichts haltmachte? Der sich keine Fessel gestattete und auch keinem anderen, weder Ibn Al-Hariq noch dem Hüter der Puente, den Sydal getötet hatte?
    »Ich kenne den Versuchsaufbau«, wandte Isenhart das Wort an den Freund, »ich bin ihm schon in Form einer Zeichnung begegnet. Die Zeichnung eines Mannes …«
    »Sydal von Friedberg«, unterbrach ihn Henning von der Braake. Es lag nicht der Hauch eines Zweifels in diesen Worten. »Ein Genie. Leider bin ich ihm nie begegnet, aber Günther hat mir viel von ihm erzählt. Ja, du hast recht. Wir haben das zu Ende führen wollen, was von Friedberg begonnen hat. Eine Seelenwaage herstellen.«
    Henning schüttelte den Kopf, sein Gesicht war ein einziges sentimentales Lächeln, als würde er sich an den Dummejungenstreich eines alten Freundes erinnern. »Seelen wiegen. Auf diesen abwegigen und einzigartigen Gedanken muss man erst mal verfallen«, fügte er bewundernd hinzu, »keine hohle, idiotische Idee, sondern ein geistiger Kunstgriff. Das Problem an der Wurzel packen, nicht vor der Unsichtbarkeit in die Knie gehen, sondern sie über das Gewicht sichtbar machen.«
    Etwas an der Bewunderung des Freundes für seinen Vater stieß Isenhart zurück. »Sydal von Friedberg war ein Mörder«, wandte er ein.
    »Aber nie der Mordlust wegen, sondern stets als Mittel zum Zweck auf dem Weg zur Erkenntnis – zumindest waren das Günthers Worte.«
    »Was weißt du noch von ihm?«, fragte Isenhart, der nicht beurteilen konnte, ob die Stimmlage sein Stutzen verbarg oder verriet.
    »Günther hat ihn in Toledo getroffen. Zusammen mit einemAraber soll er da eine Stätte geschaffen haben, an der jede Stimme das gleiche Gewicht genießt, ganz gleich, woher sie stammt, wie alt sie ist oder welchem Glauben sie angehört. Den Basar des Wissens. Das ist es, was mich für ihn eingenommen hat. Für Sydal von Friedberg.«
    »In der Tat«, antwortete Isenhart, »es ist ein wunderbarer Ort.«
    »Bist du ihm begegnet? Sydal von Friedberg?«, fragte Henning.
    Isenhart schüttelte den Kopf: »Nein, leider nicht. Wie es scheint, lebt er in Kairo. Und … und er ist mein Vater.«
    Henning von der Braake starrte ihn an, als habe er einen schlechten Scherz zum Besten gegeben. »Er ist mein Vater«, wiederholte Isenhart daher.
    In Hennings Blick las Isenhart die Erkenntnis eines Mannes, den schon lange eine Frage umgetrieben hatte, mehr noch: eine Fassungslosigkeit, die sich jeder Erklärbarkeit widersetzte. Wie nur war es möglich, einem einfachen Wachmann zu begegnen, der des Schreibens und Lesens mächtig war, schnell in der Auffassung, rasend in der Conclusio, der Wille frei, der Geist erst recht ungebändigt. Wie konnte das sein? Die Antwort darauf war – das lag in der Natur der Sache – nicht monokausal. Walther von Ascisberg war der beste Mentor, dem jemand wie Isenhart in die Arme laufen konnte. Ein Mann, der das Aufglimmen von Isenharts Geist angefacht, der das auflodernde Feuer beständig gefüttert hatte mit Wissen und Aufgaben, an denen die noch rohe, ungehobelte Intelligenz sich aufrichten sollte wie ein Strang Efeu, der an einer Auswölbung in einer Mauer Halt fand, um von dort aus erneut ins Unbekannte aufzubrechen.
    All das, Henning von der Braake erkannte es nun, war begünstigt worden durch Isenharts Herkunft. Er war der Sohn eines Genies. Der Sohn eines Mannes, der nicht gewillt war, Grenzen zu akzeptieren.
    »Sydals Sohn.«
    »Ja.«
    Henning nickte. Er hatte es nicht wissen können, aber vielleicht müssen. Diese Nachricht wendete noch einmal alles – und gebar neue Chancen.
    Sydals Sohn.
    »Wir könnten zusammen an diesen Ort reisen«, sagte Henning.
    Auf diesen Einfall, der so nahelag, war Isenhart noch nicht gekommen. Aber er nickte, was Henning zu einem Lächeln veranlasste, das aber zügig wieder verschwand.
    »Michael von Bremen kann nicht der Jungfrauenmörder gewesen sein«, offenbarte Isenhart dem Freund, »dein Vater hat ihn erdrosselt, oben in Tarup.«
    Henning zog die Stirn in Falten, verwundert musterte er Isenhart. »Das musst du mir später erklären, ich muss meinen Vater jetzt herrichten«, sagte er und federte hoch.
    Isenhart erhob sich ebenfalls. »Natürlich.«
    Henning schenkte ihm ein Lächeln, ein trauriges dieses Mal, und wandte sich ab. Isenhart blickte ihm nach. Natürlich wollte Henning seinen Vater aufbahren und den Herrn mit einigen Gebeten dazu bewegen,

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