Isenhart
verlieren muss.«
Und keine Zeit, fügte Isenhart in Gedanken hinzu.
Konrad senkte den Blick, und der fiel auf seine ledernen Schuhe, die bald aus den Nähten zu gehen drohten. »Du weißt trotzdem, wovon ich rede«, stellte er fest. Isenhart wollte sich das Seufzen nicht gestatten, er unterdrückte es, aber es war noch kraftvoll genug, um bis an Konrads Ohr zu dringen. Der junge Laurin hob den Blick und begegnete dem Isenharts.
»Nur so kann ich ihn stoppen«, gab dieser zu, »nur so kann ich verhindern, dass noch mehr sterben. Wenn du einen besseren Vorschlag hast, dann lass ihn mich wissen. Jetzt gleich.«
»Hab ich nicht«, gab Konrad zurück, »aber tu nicht so, als würdest du Lugardis’ Leben nicht aufs Spiel setzen. Halt mich nicht für so dumm.«
Isenharts Augen wanderten über das Gesicht Konrads. Und Wehmut packte ihn. Es gab Gegenden, so hatte Isenhart bisher geglaubt, in die zu begleiten nur ein Walther von Ascisberg oder ein Henning von der Braake die Voraussetzungen mitbrachten, nämlich die Kapazität ihres Geistes. Diese Pfade waren Konrad verwehrt. Nicht ganz, wie er sich nun eingestehen musste. Konrad beschritt diese Wege einfach, indem er sich auf seinen Bauch verließ. Oder auf sein Herz, in das sich die Sorge um Lugardis’ Wohlergehen genistet hatte.
»Wenn wir ihn verfolgen, wird er eher auf uns aufmerksam werden, als den nächsten Mord zu begehen«, vermutete Konrad.
»Ich fürchte ja«, stimmte Isenhart ihm zu.
»Er wird Jungfrau um Jungfrau töten, wenn ihm niemand eine Falle stellt.«
»Vermutlich.«
»Also muss ihn jemand im Augenblick der Tat stellen, um dem ein Ende zu bereiten.«
»Besser heute als morgen«, stimmte Isenhart ihm zu.
Sie standen nun ein wenig ratlos voreinander, von weit her wehten Rufe zu ihnen herüber. Rufe von der Schlacht, die nun über den Kirbach zu wogen begonnen hatte.
»Ich muss das tun, Konrad.«
Es war mehr als eine Feststellung, die Konrad da zu Ohren kam. Es war eine Mission, die zu ihrem Ende geführt werden musste.
Sophia hatte einmal in der Scheune neben ihm gestanden, während sie die Kornähren mit kleinen Stücken Hanf banden. Ihr besorgter Blick hatte Isenhart gegolten, der unten am Kanal das Floß ausbesserte. »Ich hoffe«, hatte sie geflüstert, »Henning von der Braake lebt. Und dass sie sich begegnen. Sonst treibt er in … in eine andere Welt.«
Daran erinnerte Konrad sich, der Isenhart nun im Schutz der großen Buche unterhalb des Stifts gegenüberstand. Die Sorge seiner Schwester war im Anschluss an ihr kurzes Gespräch in Heiligster auch die seine geworden.
Isenhart war eine Menge daran gelegen gewesen, ihnen allen zu erklären, weshalb eine Fährverbindung bei Heiligster von wirtschaftlichem Nutzen sei. Kein Argument, das er vorbrachte, konnte von ihnen widerlegt werden. Selbstverständlich verdoppelte die Verbindung über den Rhein Heiligsters Einfluss, das war unbestritten. Und rein ökonomisch betrachtet war die Einführung dieser neuen Route mehr als geboten, wenn nicht gar überfällig.
Doch der wahre Zweck der Fährlinie offenbarte sich einem ganz von selbst, sobald man nur ein Quäntchen Zeit mitbrachte und Isenhart aus den Augenwinkeln beobachtete, was sich für Konrad von Laurin an einem Herbstmorgen 1199 ergeben hatte, als er den Köder an der Angelleine auswarf, sich unter eine Trauerweide hockte und auf ein paar hungrige Rotaugen wartete.
Isenhart hatte Unmengen an Steinen angehäuft – nach denen sie sich alle bei Saat und Ernte auf den Äckern mit schmerzendem Kreuz gebückt hatten –, die er nun nach einem exakten System, das seinem Kopf entsprungen war, im Kanal versenkte, um dessen Verschlammung vorzubeugen. Die Raben tänzelten um ihn herum, stießen Krächzlaute aus, sprangen ihm auf den Rücken und sahen sich die Welt von dort aus an. Ab und an schissen sie dabei auf sein Hemd, woran Isenhart aber keinen Anstoß zu nehmen schien, wahrscheinlich weil er den Vögeln dazu Bösartigkeit hätte unterstellen müssen.
Bis der helle Laut einer Glocke über den Fluss ertönte. Sofort ließ Isenhart von dem Kanal ab, sprang auf und rannte durch die Reißaus nehmenden Raben zum Ufer, wo er eine zweite Glocke an einem Baum befestigt hatte, so groß wie die Faust eines Mannes. Vom Messingklöppel reichte ein Hanfband hinab, das sich im Wind wiegte und von Isenhart genutzt wurde, um den Leuten auf der anderen Seite, die bei Nacht, Nebel oder starkem Regen für ihn unsichtbar ausharrten, zu signalisieren,
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