Isenhart
wischte sich mit dem Ärmel der freien Hand über die laufende Nase. Seine etwa drei Jahre ältere Schwester hielt ihn an der anderen Hand. Sie flüsterte einem Jungen von elf Jahren aufgeregt etwas ins Ohr. Dieser blieb nach außen hin gelassen, aber seine eilig hin und her wandernden Pupillen verrieten seine eigene Aufgeregtheit.
Als die drei Kinder den Eingang des Raums, in dem Isenhart und Konrad unterrichtet worden waren, erreichten und sich an dem Mann, der ihnen den Rücken zugewandt und mit verschränkten Armen im Eingang Stellung bezogen hatte, vorbeidrängeln wollten, sah dieser sich über die Schulter.
Der Junge und das Mädchen erstarrten. Das blanke Entsetzen stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Sie stoppten so abrupt, dass der Vierjährige gegen das Bein des Mannes stolperte.
»Trollt euch«, befahl dieser ruhig. Das Mädchen schlug eilig das Kreuz, bevor sie ihren kleinen Bruder heftig mit sich zog und die Treppe zum Burghof nahm, den der eben noch mutige Junge schon hinabrannte.
Die Reaktion der Kinder, die Isenhart am Rande wahrnahm, bestätigte die Ahnung, die er beim ersten Anblick des Mannes gehabt hatte. Jede Berührung mit Edgar, diesen Namen hatte er aufgeschnappt, wurde gemieden. Er trug ein Schwert, das er auf den Rücken geschnallt hatte, sodass sich der Knauf und der Handschutz über seinen Kopf erhoben. Ein kurzer, fachkundiger Blick auf das Schmiedewerk der Klinge genügte Isenhart, um ihn als Henker zu identifizieren. Er war gekommen, um durch das scharfe Schwert zu richten.
Isenhart beschloss, Konrad, der mit gesenktem Kopf und von Brandblasen entstellt neben ihm stand, nichts von seiner Beobachtung zu erzählen. Er empfand es als bittere Ironie ihres Lebens, sichausgerechnet hier vor einem kirchlichen Gericht wiederzufinden, an diesem Ort, an dem Walther von Ascisberg sie die Vorteile der Ratio gelehrt hatte.
Im Raum hatten sich Schaulustige eingefunden, die sich überwiegend aus dem Gesinde rekrutierten. Die wenigsten von ihnen waren je einem leibhaftigen Bischof begegnet, der auf einem Stuhl Platz genommen hatte, der eigens für ihn vom fernen Spira bis hierher transportiert worden war. Die beiden bewaffneten Wachmänner, denen Isenhart bereits im Gewölbe begegnet war, flankierten ihren Herrn zu beiden Seiten. Schräg versetzt davon stand der Abt von Mulenbrunnen.
Die Leute, Mägde, Bogner, Schmiede, begafften abwechselnd den Bischof und Konrad, als könnten sie sich nicht entscheiden, wer von beiden die größere Sensation darstellte. Sie starrten und tuschelten, hier und da war ein Zeigefinger zu sehen. »Von Laurin«, wisperte jemand, » das ist Konrad von Laurin?«
Einige wenige hatten nach der Eroberung der Burg ihr gewohntes Leben vor Ort wieder aufnehmen können. Diesen wenigen war Konrad kein Unbekannter. Anderen war er vom Hörensagen geläufig. Der Sohn des großen Sigimund von Laurin. Und da stand er nun mit hängendem Kopf, ein Mann von beeindruckender Statur, das Gesicht aber von eitrigen Blasen und Schwellungen verunstaltet, die keine freie Sicht auf seine Augen gestatteten.
Eine durch und durch traurige Gestalt, gekleidet in schmutziges, blutiges Leinen. Daneben dieser Sohn des Schmieds, der mit seinen Fragen Geduld, Verständnis und Langmut seiner Mitmenschen beständig einer harten Prüfung unterzogen hatte. In welch unseliges Verbrechen waren die beiden wohl verstrickt, dass Bischof Konrad III . von Scharfenberg den Weg hierher auf sich genommen hatte, um über sie Gericht zu halten?
Die Neugier sprang dem Gesinde aus den Augen. Sie lag in jeder Geste, jedem Flüstern und schien sich von Person zu Person fortzupflanzen, bis sie auch Henning von der Braake erreichte, der jeden Blickkontakt mit Isenhart mied. Er hatte unweit von Wilbrand von Mulenbrunnen Aufstellung bezogen und machte auf Isenhart einen angespannten Eindruck.
Sein Halbbruder, wenn er die Wahrheit gesprochen hatte. AberIsenhart schob den Gedanken daran weit von sich, er durfte sich jetzt nicht in langen Betrachtungen darüber verlieren, was diese neue Kenntnis alles mit sich brachte.
»Nehmt ihnen den Eid ab, Wilbrand«, ertönte von Scharfenbergs sonore Stimme. Sein ruhiger Blick ruhte auf Isenhart, während Wilbrand sich eine Bibel reichen ließ, deren abgewetzter Einband von ihrer häufigen Verwendung kündete, und damit auf die beiden Angeklagten zuging.
»Als Abt dieses Hauses, in dem Gericht gegen Euch gehalten wird«, sagte er, »fordere ich von Euch den Eid auf die Heilige
Weitere Kostenlose Bücher