Isenhart
krampfte sich zusammen. Nicht nur wegen Isenhart, auch wegen ihres Bruders, der sich mit tastenden Schritten auf die anderen zubewegte. Blind. Hilflos.
Simon von Hainfeld schritt auf Konrad zu, während Wilbrand und Henning sich eher auf Isenhart zu konzentrieren schienen. Sophia schlüpfte aus ihren Holzschuhen. Sie entriss dem unaufmerksamen Wachtposten neben ihr die Lanze und lief quer über die Wiese. »Flieht!«, brüllte sie.
Alle starrten sie an, und auch der Wachmann war einen Augenblick lang fassungslos, bevor er ihr nachsetzte, um seine Unaufmerksamkeit und Schmach wettzumachen und der körperlichen Strafe, die ihn zweifelsohne erwartete, zu entgehen.
Aber Sophia, deren rotes Haar ihr vom Kopf abstand, war flink. Als Kind war sie im Wettlauf mit den Jungs aus dem Gesinde stetsals Siegerin hervorgegangen, selbst schneller als Isenhart war sie gewesen. Es gab nur einen, der sie in allen Disziplinen geschlagen hatte. Konrad, natürlich.
Die Männer, die sich zu duellieren anschickten, warfen ihr einen überraschten Blick zu. Damit hatte niemand gerechnet. Sophia rannte auf den Mann zu, der ihr am nächsten war: Simon von Hainfeld. An den schnellen Atemzügen hinter sich hörte sie, wie der Wachmann Boden gegen sie gutmachte. Sie wusste nicht, was sie mit der Lanze anfangen sollte, wenn sie von Hainfeld ungehindert erreichen sollte, aber sie war entschlossen, den Tod von Mann und Bruder zu verhindern.
Der Wachposten hechtete auf sie zu. Sophia begriff, es würde nicht reichen, weshalb sie alle Zielgenauigkeit und Kraft in den Wurf legte, mit dem sie den Speer auf den Hünen schleuderte, der ihr mit der schartigen Klinge ihre Schönheit genommen hatte. Vor Anstrengung brüllte sie auf, bevor das Gewicht des Wachmannes sie zu Boden riss. Obwohl vom weichen Grasboden abgefedert, schlug sie so hart mit dem Kinn auf, dass ihre Zahnreihen aufeinanderschlugen.
Die Lanze schoss haarscharf an Konrad vorbei, der sie nicht kommen sah. Simon von Hainfeld, auf den sie zuflog, riss geistesgegenwärtig den Streithammer hoch und wehrte sie damit ab.
Wilbrand trennten noch siebzig Fuß von Isenhart, der in der Konfrontation mit dem Abt nur die Chance sah, ihn zu Fall zu bringen, damit das Gewicht der Plattenpanzerung ihn an den Grund fesselte.
Doch von Mulenbrunnen hob die eisenbewehrte Hand, um das Visier nach unten zu senken. Und jetzt entdeckte Isenhart die Lücke.
Chlodios Schlag, der ihm das linke Auge aus dem Schädel katapultiert hatte. Seitdem präsentierte sich ihm, wenn er das rechte Auge schloss, nicht nur die Fläche, sondern eine Art Relief. Eine Ahnung der dritten Dimension.
Er ließ den Streitflegel aus der Hand gleiten. Die Eisenkugel plumpste ins satte, nasse Gras. Die Rechte glitt in seinen Nacken, riss die Armbrust hervor. Den Schwung fing er mit der linken Hand ab. Isenhart blieb nur der Bruchteil eines Augenblicks.
Er hob die Armbrust an, das rechte Auge zugekniffen. Die Landschaft und die Menschen darin verschmolzen zu einer Ebene mitwinzigen Erhebungen. Wilbrand erfasste, was er vorhatte. Er legte all seine Kraft in den linken Arm, der den schweren Schild hielt und der nun von Bizeps und Unterarm in die Höhe gerissen wurde.
Isenhart drückte den Abzug durch, der Bolzen jagte auf seine Bahn, zweihundert Fuß in der Sekunde. Er schoss knapp über den Schild hinweg, schlug ins noch offene Visier ein und zertrümmerte dem Abt den Schädel.
Wilbrand von Mulenbrunnen fiel tot ins Gras, als hätte man einer Marionette mit einem einzigen Streich die Fäden gekappt.
Aus Konrads Sicht war es nur eine schimmernde Kontur, die rücklings ins Gras sank. Dafür schob sich eine viel größere in sein Sichtfeld: Simon von Hainfeld.
Die List entspringt nicht der Feig-, sondern der Klugheit, hörte er die Worte seines Vaters in seinem Kopf nachhallen. Daher vollführte er noch einen weiteren, scheinbar unbedachten Schritt nach vorne. Es trat exakt das ein, was er sich erhofft hatte: Simon von Hainfeld hielt ihn für blind. Er schwang den Streithammer und legte all seine Kraft in den Schlag, den Konrad, der sich rechtzeitig duckte, ins Leere laufen ließ. Die Wucht des eigenen Hiebes riss den Hünen nach vorne, genau in die Linie jener Bahn, die seine Waffe in der Luft beschrieb. Konrad federte hoch und riss die Klinge aus Toledostahl hinab, um den ungeschützten Nacken seines Gegners zu verletzen. Aber sein mangelndes Augenlicht ließ ihn nur den Rücken des Mannes treffen, in dessen Fleisch der Stahl einen
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