Isenhart
halben Daumenbreit eindrang. Von Hainfeld fing sich ab. Konrad setzte nach, deckte seine Flanke durch den Rundschild und trieb von der Braakes Gehilfen die Schwertspitze in den Unterarm. Im selben Augenblick krachte der Streithammer gegen seinen Schild und zwang ihn zu einem Stützschritt.
Währenddessen fand Isenhart sich Henning von der Braake gegenüber, dessen heller Lederwams vom Regen dunkelbraun gefärbt wurde. »Ich will dich nicht töten!«, brüllte dieser ihm zu.
Isenhart zögerte, seine Rechte umfasste den Streitflegel. »Ich will dich auch nicht töten«, sagte er leise, seine Stimme ging beinahe im Regen unter. Henning schluckte. Er nahm es als Bekenntnis der Zuneigung, die Isenhart für ihn empfand. »Aber ich muss, um die zu retten, die du ermorden wirst«, fügte Isenhart hinzu.
Und dieses Mal lag eine Entschlossenheit in seinem Ton, den der Regen nicht übertönte. Er sprang vor und ließ die Eisenkugel nach vorne fliegen. Mit der Überraschung auf seiner Seite gelang ihm ein Treffer. Die Kugel traf von der Braake mit voller Wucht an der Hüfte, die Parade, die er mit seinem Schwert ausführte, kam zu spät. Doch blieb die Wirkung aus, kurz nur verzog Henning das Gesicht, als die Dornen drei Löcher in seinen Wams rissen. Nicht mehr.
Isenhart hatte es gespürt. Die Kugel federte nicht mit Verzögerung zurück, wie es erwartbar gewesen wäre, wenn Metall auf Fleisch traf. Etwas hatte ihre Flugbahn abrupt gestoppt, ja fast zurückgeworfen. Er trägt versteckt ein Kettenhemd, folgerte Isenhart. Alle weiteren Schläge, die sich den Torso zum Ziel nahmen, waren daher Verschwendung von Chance und Kraft.
Henning ging nicht etwa zum Gegenangriff über, sondern wich nach links und rechts aus, beide Hände umschlossen den Knauf. »Wozu?«, brüllte er gegen die Regenwand an, die über sie hinwegzog, »wozu? Wir sind Halbbrüder! Wir haben denselben Vater, Isenhart! Wir tragen ihn in uns!«
Das Böse ebenso wie das Gute, fügte Isenhart in Gedanken hinzu. Er startete einen erneuten Ausfall, doch dieses Mal fand er Henning auf der Hut, der den Schlag mit dem Streitflegel ins Leere laufen ließ – um seinerseits zuzustoßen. Der Hieb traf Isenhart an der rechten Schulter, an der die Wunde, die von Hainfeld ihm mit dem Streithammer beigebracht hatte, ohnehin erneut zu bluten begonnen hatte. Die Schneide fuhr einen Zoll tief in seine Haut und krachte bis hinab auf den Schulterknochen, obwohl er noch den Versuch des Wegdrehens unternahm. Der Schmerz kam mit Verzögerung. Einen winzigen Moment lang war ihm der Blick auf den weißen Knochen gestattet, bevor das eigene Blut in die Kerbe seines Körpers stürzte.
Plötzlich wurde ihm schlecht, schwarze Punkte mischten sich in sein Gesichtsfeld, seine Beine wurden kalt und starr. Mit einer Kopfbewegung, die ihm unnatürlich viel Kraft abverlangte, vergewisserte er sich, dass Konrad und Simon von Hainfeld sich immer noch gegenseitig attackierten.
Und dann kam ihm etwas in den Sinn, es war ein Gedanke, ein Erinnerungsfetzen.
Der Schlag, mit dem Henning ihn verletzt hatte, war mit links ausgeführt worden. Mit links.
Die frische Erinnerung löste eine alte aus. Eine an jene Nacht, in der sie zu viert nach Tarup unterwegs gewesen waren und in der Scheune übernachtet hatten, in der sie überfallen worden waren. Günther von der Braake hatte seinen Dolch auf einen Angreifer geschleudert – mit dem rechten Arm. Günther von der Braake war Rechtshänder gewesen, vergegenwärtigte Isenhart sich. Hennings Aussage, Günther habe Anna von Laurin ermordet, ihr in der kalten Winternacht die Kehle durchschnitten, widersprach der Erinnerung an einen noch viel weiter zurückliegenden Tag.
Betäubt von Schmerz und Kälte hatte Isenhart neben Walther von Ascisberg ausgeharrt, weil er der Begutachtung ihres Leichnams beiwohnte und seinem Lehrer mit der Fackel das benötigte Licht spendete.
Er hat nicht viel Erfahrung in so etwas, hörte er Walther Stimme in seinem Kopf widerhallen. Und sah ihn wieder vor sich, wie er auf die grässliche Schnittwunde deutete, die der Mörder Anna beigebracht hatte: Dort, wo er begonnen hat, ist die Schnitttiefe ein Fingerglied tief – zu wenig, um eine Kehle zu durchtrennen. Aber hier hat er nachgesetzt.
Ja, alles hatte auf einen Anfänger gedeutet. Auf einen, der zum ersten Mal Leben nahm. Doch eines war seinem ansonsten so wachen Lehrmeister bei der Leichenschau entgangen. Isenhart konnte den Schnitt durch die Kehle in seinem Kopf
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