Isenhart
aufrufen, als läge die älteste Tochter des Fürsten hier vor ihm. Hier, auf der Wiese.
Der Schnitt begann links und führte nach rechts, wobei er sich vertiefte. Der Ursprung links, das Ende rechts. Wer seinem Opfer von hinten die Kehle durchschnitt, setzte auf der anderen Seite an. Der Rechtshänder ganz links am Hals, um die Klinge zu sich zu ziehen, der Linkshänder am rechten Ende. Und Annas Mörder hatte rechts begonnen, er hatte die Schneide von rechts nach links gezogen.
Es gibt nichts Zwingenderes als die Logik.
Annas Mörder war Linkshänder, einen anderen Schluss ließ der Schnitt durch ihre Kehle nicht zu.
Sie mussten Sophia, die sich nach Kräften wehrte, zu zweit durch das nasse Gras zurückschleifen.
Konrad, der zur Seite auswich, sah den Schlag zu spät kommen. Er versuchte noch, den Rundschild zur Deckung hochzureißen. Doch die Keule mit den Dornen zersplitterte ihn und traf Konrad am Kopf. Er stürzte. Simon von Hainfeld setzte ihm nach, sprang über ihn.
Die Eisendornen hatten Konrad von Laurin das Gesicht bis zum Wangenknochen aufgerissen. Er erwartete ein Brennen, doch er spürte auf seiner linken Gesichtshälfte nur eine merkwürdige Kälte. Die Situation erinnerte ihn an Philippopolis, als Dolph verwundet worden war und der Speerträger zum entscheidenden Stoß angesetzt hatte. Damals war sein Vater zur Stelle gewesen, um ihn zu retten. Dieses Mal war er auf sich gestellt.
Der Streithammer sauste auf ihn nieder, und für das, was er plante, musste er den Hieb in Kauf nehmen.
Überlasse dich niemals dem Zorn.
Konrad schützte sich mit dem unteren Teil des Schildes, der noch nicht von seiner querstrebigen Halterung gesprengt worden war. Unter der Wucht des Schlages wurde es ihm in der Hand in Stücke gerissen, der Streithammer brach ihm Elle und Speiche des linken Armes. Der Schmerz jagte ihm in den Kopf. Simon von Hainfeld war vornübergebeugt, abgelenkt vom Schild und dem gebrochenen Unterarm fuhr der Hammer in den Boden.
Damit war von Hainfeld nah genug, um von Konrad anvisiert zu werden. Er riss das leichte Schwert hoch und trieb dem Hünen die Spitze durch den Hals.
Von Hainfeld erstarrte, das Blut schleuderte im Rhythmus seines schwächer werdenden Herzschlags hinaus und über ihn. Der Hüne schreckte zurück, während sein Körpergewicht ihm das Toledoschwert weiter und weiter durch den Hals trieb, die Wunde in ihrer Breite vergrößerte und schließlich die Haut aufspringen ließ.
Er sackte auf den Mann nieder, den er zu blenden geglaubt hatte.
Isenhart wankte Henning von der Braake entgegen. Die Kraft sprudelte ihm aus der Wunde, alles verschwamm. Und so sah erden Schwerthieb nicht kommen, nicht mehr als ein verwischtes Etwas, das in aberwitziger Geschwindigkeit durch sein Gesichtsfeld schoss, so unwirklich wie der Pfeil am Kirbach. Umso wirklicher der Schmerz, der ihm in die Glieder fuhr, als die Stahlklinge ihn um die halbe Ohrmuschel erleichterte und abermals in sein Schlüsselbein fuhr.
Erschrocken über die Verwundung, die er seinem Halbbruder beigebracht hatte, wich Henning einige Fuß zurück. Isenharts Beine wollten nachgeben, doch er gestattete es ihnen nicht.
Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie Simon von Hainfeld über dem liegenden Konrad zusammenbrach. Isenhart wusste nicht, wer von beiden noch am Leben war, der Schmerz versetzte ihn in Trance.
Jetzt galt es.
»Wir beide«, richtete Henning das Wort an ihn, »wir hätten niemals in dieses Jahrhundert hineingeboren werden sollen. Wir stehen außerhalb unserer Zeit.« Von der Braake kam auf ihn zu. »Noch haben wir Gelegenheit«, beschwor er ihn.
»Nein«, widersprach Isenhart und nahm seine eigene Stimme wie einen Fremdkörper wahr, »nein, uns bleibt keine Zeit mehr. Und wir stehen auch nicht außerhalb von ihr. Das ist nur eine Illusion, Henning.«
Wer außerhalb der Zeit stand, war zeitlos, während sie beide Ausdrucksformen der Zeit waren und ihr mit jeder Bewegung, jedem noch so kleinen Indiz der Alterung zu allgemeiner Sichtbarkeit verhalfen. Und deshalb, dachte Isenhart, bedingten sie einander, die Zeit und sie, und sie waren mit ihr, der Herrscherin des Wann, untrennbar im Jetzt verbunden. Die Vergangenheit war unverrückbar und unabänderlich, sie war für die Ewigkeit. Die Zukunft dagegen ungewiss, ein Meer von Möglichkeiten. Und alles, um die zukünftigen Tage in jene zu verwandeln, auf die man zufrieden und mit einer Art innerlichen Friedens zurückblickte, war der Moment. Hier und
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