Isenhart
wir werden ihn prüfen. Eingehend prüfen.«
Isenhart nahm einen eigenartigen Geruch wahr, intensiv und abstoßend, als der Abt an ihm vorbeiging. Das Tuch um dessen Hals fiel ihm nun auf, es war in einer Farbe gehalten, die er noch nie zuvor gesehen hatte: Purpur.
Alexander von Westheim hatte ihnen von der Farbe Purpur berichtet – und vor allem von ihrem Geruch. Schon die Römer benutzten ein spezielles Verfahren zu seiner Herstellung, wie der fahrende Händler zu berichten wusste, und weit vor ihnen die Phönizier. Man schnitt Purpurschnecken die Drüsen heraus, die eine gelbliche Flüssigkeit absonderten, lagerte sie einige Tage in Salz und kochte sie dann in Urin, um schließlich das Leinen darin zu färben.
Für ein einziges Gramm Purpur, so erzählte der Jude, benötige man zwanzigtausend Schnecken. Da Isenhart mit zunehmendem Alter auch eine zunehmende Skepsis gegenüber dem Wahrheitsgehalt der Geschichten entwickelt hatte, mit denen Alexander von Westheim ihnen die Zeit vertrieb, halbierte er die Anzahl der benötigten Tiere. Zehntausend Wirbellose aufzulesen, ihnen die Drüsen zu extrahieren, um schließlich mit einem Gramm Purpur belohnt zu werden, stellte immer noch einen ungeheuren Aufwand dar.
Wilbrand von Mulenbrunnen musste steinreich sein, schloss Isenhart.
Jener warf Sigimund einen langen Blick zu. »Was meint Ihr?«
»Er untersteht meiner Gerichtsbarkeit«, erwiderte Sigimund selbstbewusst, »wenn ich zu keinem Urteil komme, werde ich Euer Angebot annehmen.«
Den drei Männern blieb die Missbilligung, die sich in Wilbrands Gesicht abzeichnete, nicht verborgen, obwohl er es rasch mit einem Lächeln kaschierte. »Natürlich. Kloster Mulenbrunnen steht Euch offen.«
»Ich weiß Eure Großzügigkeit zu schätzen«, antwortete Sigimund. »Der Tod meiner Tochter Anna hat meiner Gattin schweres Leid zugefügt, und auch mir war sie lieb und teuer. Sicher habt Ihr Verständnis, Wilbrand, wenn ich jeden noch so kleinen Umstand ihres Todes klären möchte.«
»Ich bitte Euch, wie könnte ich kein Verständnis haben? Ein jeder Vater würde nicht nur so handeln wie Ihr, es sollte ihm auch heilige Pflicht sein.«
In diesem Moment begriff Isenhart, wie Sigimund von Laurin die Sache anging. Soeben hatte er die Zustimmung des Abtes erhalten, ihn selbst zu befragen. Isenhart kannte seinen Burgherrn vor allem als einen Mann der Tat. Als Walther von Ascisberg einmal in einem Nebensatz das diplomatische Geschick seines alten Freundes erwähnte, fragte Isenhart sich, worin das bestehen sollte. Jetzt wusste er es.
»Bei der Befragung von Alexander von Westheim fiel Euer Name«, wagte Sigimund den entscheidenden Vorstoß, der ein Stirnrunzeln bei Wilbrand von Mulenbrunnen bewirkte.
»Ich hoffe, in einem positiven Kontext.«
»Was?«, flüsterte Konrad.
»Kontext«, sagte Isenhart leise.
Konrad deutete ein Achselzucken an.
»Leider nicht«, erwiderte Sigimund vorsichtig. »Ihr wurdet beschuldigt.«
»Ich? Das ist absurd!«
»Natürlich ist es das«, beruhigte Sigimund den Abt.
»Der Jude hat mich beschuldigt?« Wilbrand von Mulenbrunnen war außer sich, sein Kopf war so heftig herumgefahren, dass die Mitra nun schief auf seinem Haupt ruhte und ihm etwas von seiner kirchlichen Würde nahm.
Sigimund von Laurin nickte: »Ich erwähnte eingangs das Geschenk des Schmieds.«
»Ja«, unterbrach Wilbrand ungeduldig, »und weiter?«
»Wir fanden es im Besitz des Händlers. Und dieser sagte, er hätte es als Geschenk von Euch erhalten. Einen Bernstein.«
Der Abt legte den Kopf ein wenig schief, wie um im Nachhall der Worte seine Vermutung bestätigt zu bekommen, dass er sich verhört hatte. Dem war nicht so. Bei dem Anblick der Zornesröte, die dem Abt ins Gesicht stieg, konnte Isenhart beinahe fühlen, wie gelbe Galle die Oberhand in dem ansonsten wohl ausgeglichenen Verhältnis der Säfte gewann.
»Ein fahrender Händler beschuldigt mich, ein Jude wohlgemerkt, und Ihr messt seinem Wort ebenso viel bei wie meinem?«, fragte Wilbrand schneidend, seine Worte trugen die Heiserkeit unterdrückter Wut in sich.
»Keineswegs«, erwiderte Sigimund von Laurin, »aber angenommen, er hat diesen Stein von Euch entgegengenommen, so könnt Ihr mir sicher Auskunft geben, von wem Ihr ihn erhalten habt.«
»Ich habe diesen Bernstein nicht in meinen Händen gehalten,Sigimund von Laurin«, sprach der Abt ihn nun förmlich an. »Ihr nehmt bei dieser Witterung eine beschwerliche Tagesreise in Kauf. Wieso solltet Ihr das tun,
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