Isenhart
stellen. Sigimund hatte es sich in den Kopf gesetzt, mehr war dazu nicht zu sagen.
Deshalb suchte Walther in Bruchsal einen ortskundigen Kurier, der in seinem Auftrag Simon Rubinstein im Judenviertel von Spira aufspüren sollte. Walther von Ascisberg hatte etwas gut bei ihm, und nun war die Zeit gekommen, es einzufordern.
»Mach das nie wieder«, befahl Sigimund, ohne seinen Sohn dabei anzusehen.
Zu dritt hatten sie die Heimreise zur Burg Laurin angetreten und führten ihre Pferde im Trab, um sie zu schonen.
Sigimund von Laurin war verstimmt, ohne Konrads Intervention hätte das Treffen vielleicht einen anderen Ausgang genommen. Auf der anderen Seite kam er nicht umhin, das erhebende Gefühl von Stolz, das sich in seiner Brust breitmachte, wahrzunehmen. Es nötigte ihm Bewunderung ab, mit welcher Kompromisslosigkeit sein Stammhalter die Ehre des Hauses Laurin verteidigt hatte – und zwar ohne Rücksicht auf Ansehen oder Person.
Sorge bereitete ihm lediglich Wilbrands Reaktion auf die körperliche Züchtigung, die er durch den jungen Heißsporn erfahren hatte. Es war allgemein bekannt, dass Wilbrand von Mulenbrunnen stets zum eigenen Vorteil handelte. Konrad nicht sofort festzusetzen, sondern ihn ohne Bestrafung, ja ohne ein mahnendes Wort oder dergleichen ziehen zu lassen, musste einen Gewinn für den Abt darstellen.
Bloß welchen?
»Glaubt Ihr, der Abt hat Anna getötet?«, fragte Isenhart.
Sigimund schüttelte den Kopf. »Warum sollte er das tun?«
Cui bono, das war die Frage, um die Isenharts Gedanken kreisten: Wem nützt es?
Nur dem, der das Herz haben will. Nur für den macht es Sinn. Und da Isenhart dieser Sinn verschlossen blieb, konnte er per Kombinatorik nicht die nächste Stufe der Erkenntnis erklimmen. Er stand hilflos vor dieser Stufe wie vor einer mächtigen Burgmauer, die ein Geheimnis beherbergte, das sie ausschließlich ihrem Bezwinger preisgeben würde.
Gott hatte ihm das Liebste in seinem Leben entrissen. Die Nachtstunden über hatte er gehadert und in Gebeten eine Antwort beschworen: Warum, Herr, hast du deine schützende Hand nicht über sie gelegt? Warum hast du ihr nicht beigestanden in der Stunde ihres Todes? Warum? Antworte mir.
Doch die Antwort des Schöpfers blieb aus, keine Stimme, die zu Isenhart sprach, kein Zeichen, dessen er gewahr wurde. Vielleicht, überlegte Isenhart, gab es einen guten Grund, Anna aus dem Diesseits abzuberufen. Möglicherweise hätte sie in ihrem irdischen Dasein eine derartige Häufung von Leid, Schmerz und Entbehrung erwartet, die den Allmächtigen dazu bewogen hatte, es ihr zu ersparen.
Trotz der gottgefälligen Erklärungen, die Isenhart der Tatenlosigkeit des Herrn in der gestrigen Nacht gegenüberstellte, um seine Unfehlbarkeit nicht in Abrede zu stellen, blieb doch der Dorn des Zweifels in seinem Kopf stecken – was er jedem gegenüber bestritten hätte.
Aus seinen Überlegungen schälte sich der unbequeme Verdacht, dass auf Gott in dieser Angelegenheit wenig Verlass war. Der Schöpfer würde ihm den Weg zu Annas Mörder nicht weisen, Gelegenheiten hatte es im Überfluss gegeben. Allesamt ungenutzt, wie Isenhart mit Bitterkeit konstatierte. Also blieb ihm nur sein eigener Verstand.
Als er sich dessen bediente, erinnerte er sich an eine von Walthers Erzählungen. Am Vorabend der Schlacht von Doryläum anno 1147 war es den Kreuzfahrern, unter ihnen Sigimund und Walther, gelungen, einige Seldschuken gefangen zu nehmen, die ihnen auf ihrem Weg nach Damaskus aufgelauert hatten.
Die Muselmanen waren zutiefst erschüttert über die von Staub und Dreck starrende Haut der abendländischen Soldaten. Und erstrecht von dem intensiven gärigen Geruch, der von ihnen ausging. Die Kreuzfahrer stanken zum Himmel.
Walther lachte an diesem Punkt der Geschichte, und Isenhart verstand den Grund seiner Belustigung nicht. »Wir baden doch alle drei Monate«, hatte er entgegnet. Und dabei nicht die Bauern mit einbezogen, in deren Augen ein Bad für männliche Schwäche und Verweichlichung stand – weshalb sie eine umfassende Körperreinigung ganz unterließen.
»Die Muselmanen beten fünfmal am Tag«, erwiderte Walther von Ascisberg schmunzelnd, »und ihr Gott, den sie ›Allah‹ nennen, erwartet von ihnen Reinheit beim Gebet. Daher waschen sie sich fünfmal täglich. Täglich. « Walther richtete den Blick auf den jungen Schmied neben sich. »Was lernen wir daraus, Isenhart?«
Isenhart musste nicht lange überlegen. »Dass die Muselmanen sich zu oft
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