Isenhart
unangemessen gnädig. Er hatte Anna die Kehle durchtrennt, diesem hilflosen Geschöpf, das ganz sicher um sein Leben gefleht hatte, um ihr dann die Brust zu amputieren und ihr den Torso zu öffnen, ihr die Rippen zu brechen und das Herz herauszureißen.
Doch Sigimunds dolchbewehrte Hand verharrte in der Luft.
»Der Schöpfer ist mein Zeuge«, wiederholte der Händler, »bitte, Herr. Niemals«, ein Schluchzen unterbrach und schüttelte ihn, »niemals hätte ich Eurer Tochter ein Leid zufügen können.«
Von Laurin rührte sich immer noch nicht, was Konrads wachsender Besorgnis Nahrung gab.
»Vater«, mahnte er leise.
Sigimund sah von dem Juden zu seinem Sohn.
»Er soll brennen«, sagte Konrad.
»Noch bestimme ich, was im Hause Laurin Recht und Unrecht ist«, wies Sigimund ihn zurecht und schob die Klinge zurück in die Scheide. Isenhart konnte die Fassungslosigkeit des Freundes spüren, denn es war seine eigene.
»Bringt ihn ins Verlies und haltet Wache. Dort bleibt er, bis seine Schuld oder Unschuld bewiesen ist«, befahl Sigimund dem Bogner und dessen Sohn, deren Verwunderung sich zwar in ihren Gesichtern spiegelte, die sie aber niemals zu artikulieren gewagt hätten. Sie packten Alexander von Westheim und führten ihn davon. Konrad und Isenhart sahen ihnen nach.
»Der Herr segne Euch«, flüsterte von Westheim im Weggehen.
»Halt’s Maul«, erwiderte Sigimund.
Walther von Ascisberg trat an ihn heran, seine Miene war ernst. »Deine Stellung beruht auf deinem Geschick und deinen Weinbergen«, sagte Walther. Isenhart kannte die Stimme seines Lehrmeisters in- und auswendig, er konnte anhand der Tonalität recht genau die Intention einer Bemerkung bestimmen.
Dies war eine eindringliche Warnung. Und die Betonung lag auf dem Wein.
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9.
egen Mittag, nachdem sie den Ascisberg passiert hatten, erreichten sie Grüningen und deckten sich auf dem Markt mit Brot und Forellen ein. Walther, der sie bis hierhin begleitet hatte, nahm von ihnen Abschied, er wollte die Fernhandelsstraße erreichen, die Cannstatt mit Spira verband.
Es war ein klarer Wintertag, die Sonne wärmte ihnen Gesichter und Schultern. Auf dem Markt spielten ein paar Kinder, ein Gaukler vollführte Kunststücke, indem er einen Würfel aus Rinderknochen verschwinden und wieder erscheinen ließ. Die Kinder lachten.
Für einen kurzen Moment ließ Isenhart sich von ihrer Heiterkeit anstecken, bis eine Berührung ihn aus seiner Betrachtung riss. Es war Walthers Hand, die sich auf seinen Unterarm gelegt hatte. Und sofort war alles wieder da. Anna. Ihr Leichnam im Schnee, all das Blut. Und ihre Beisetzung, der Schweiß war ihnen brennend in die Augen getreten, als Konrad und Isenhart mit einigen anderen der gefrorenen Erde eine Grube abtrotzten. Hieronymus hatte die Messe gehalten, ein wenig lieblos, wie Isenhart fand, aber das lag in der Natur der Sache, denn Anna war eine Frau gewesen. Evas Erbsünde.
Sophia hatte neben ihm gesessen. Stumm, die Augen rot von all den Tränen, die sie vergossen hatte. Isenhart hatte bemerkt, wie der Geistliche ihren Blicken ausgewichen war.
Sein Lehrmeister beugte sich leicht zu ihm vor, damit Sigimund und Konrad nicht hörten, was er zu sagen hatte. »Gib auf sie acht, Isenhart.«
Isenhart nickte, aber der tiefere Sinn erschloss sich ihm nicht. »Warum begleitet Ihr uns nicht?«
Von Ascisberg vergewisserte sich mit einem Blick, dass die Laurins sich immer noch außer Hörweite befanden. »Ich treffe Vorkehrungen«, antwortete er leise. Dann nahm er seine Hand von Isenharts Arm, wendete sein Pferd und verschwand langsam in der Menschenmenge.
Isenharts Herz krampfte sich zusammen. Es war die Angst, Walther von Ascisberg niemals wiederzusehen.
Am frühen Nachmittag, sie folgten dem Ufer der Enz, machten sie unter einer Eiche halt, die ihnen Schutz vor dem einsetzenden Nieselregen bot. Sie grillten die Forellen auf hölzernen Spießen. Wortlos, ein jeder in Gedanken, verspeisten sie die Fische und spuckten die Gräten aus.
Es hätte ein Ausflug sein können wie jeder andere auch. Aber zwei Dinge sprachen dagegen. Nach ihrem Halt ließen sie auch das Wasserrad hinter sich zurück, zu dem Walther von Ascisberg ihn einst geführt hatte. Isenhart hielt auf dem Rücken des Pferdes, das Sigimund von Laurin ihm zur Verfügung gestellt hatte, Einzug in eine neue Welt.
Und zum anderen trugen Sigimund und sein Sohn Kettenhemden unter ihren Kuhhäuten. Der Fürst wollte also auf einen Kampf vorbereitet sein. Es reichte
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