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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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Nacht Gedanken über Sophia. Er kam zu dem Schluss, dass sie sich außerhalb befand. Ohne tieferen Bezug zu irgendjemandem stand sie in ihrer aller Mitte und wirkte allein. Dies erregte bei Isenhart allerdings kein Mitleid, weil diese innerliche Zurückgezogenheit von Sophia bewusst gewählt worden war – so schien es jedenfalls.
    Und doch hatte Sophia sich auf Annas Grab gelegt. Diese Offenbarung tiefster Verletztheit rief bei Isenhart Mitgefühl hervor.
    Nach ihrer Rückkehr aus Mulenbrunnen hatte Sigimund seine Tochter bereits im Fieberwahn gefunden. »Hundertfacher Tod!«, brüllte sie aus Leibeskräften und jagte ihren Eltern einen gehörigen Schrecken ein.
    Während Isenhart an der Schwelle zur Kapelle die Arme schwer wurden, den Blick unverwandt auf die beiden Kontrahenten vor dem Kreuz gerichtet, begriff er plötzlich Sophias Interesse an Giselbert, dem Scharfrichter. Ihre Begründung – wie fühlt es sich an, den Tod zu bringen – war eine Ausflucht. Sie hatte den Carnifex aufsuchen wollen, weil er ebenso einsam war wie sie.
    Zur neunten Stunde waren die Finger bleich, das Blut war aus ihnen gewichen. Isenhart wusste, dass Hände und Unterarme von Konrad und dem fahrenden Händler dem Stechen Hunderter Nadeln ausgesetzt waren. Allein der Wille feuerte die Muskeln an,sich weiter aufzubäumen und die beginnenden Krämpfe zu ignorieren.
    Diese Schmerzen teilte Isenhart mit ihnen.
    Die Anstrengung, die das Kreuzordal ihnen abverlangte, ließ Konrad und Alexander von Westheim den Schweiß auf die Stirn perlen. Das Leinen unter ihren Achseln und am Rücken war durchnässt, ihre Nacken schmerzhaft verhärtet.
    Erst war es nur ein Wispern, das Konrad wahrnahm. Ein Wispern, das aus dem Mund des Juden neben ihm drang. Kaum hörbar bildeten sich Worte. »Herr, ich erbitte deinen Beistand in meiner großen Not. Gib mir Kraft, Herr, bitte, steh mir bei.«
    Konrad atmete erleichtert aus, das Flehen des Händlers verlieh ihm neue Kraft, die aus den Schultergelenken in seine Oberarme fuhr.
    Die enorme Anstrengung hatte Isenharts Gesichtszüge zu einer bizarren Grimasse entstellt, die Krämpfe verwandelten seine Bizepse in Stein, ihm war, als schreie jede Faser der Arme nach einem Ende der Qual. Einzig sein Wille gestattete ihnen kein Nachgeben.
    »Strafe keinen Unschuldigen, Allmächtiger«, flüsterte von Westheim. Eine leise Weinerlichkeit schlich sich in seine Stimme, die Konrad weiter anspornte. Gleich war es vollbracht!
    Nach Luft japsend ließ Isenhart die Arme sinken, das Blut schoss zurück in die Adern und verursachte ein Kribbeln, als liefen Heerscharen von Ameisen unter seiner Haut entlang. Er blickte nach vorne, wo ein schweres Zittern die Arme des Händlers durchlief. Hätte er, Isenhart, sich an Konrads Stelle befunden, von Westheim wäre jetzt ein freier Mann.
    »Du weißt, ich bin ohne Schuld«, wandte dieser sich erneut an seinen Schöpfer, »bitte. Erbarme dich meiner, Herr.« Die letzten Worte waren kaum mehr als ein Hauch, dann begann der Mann zu weinen, das Schluchzen ließ seinen Oberkörper vibrieren.
    Sigimund von Laurin, der auf einer Bank Platz genommen und den Verlauf des Ordals mit unbewegter Miene verfolgt hatte, war peinlich berührt wegen dieses Gefühlsausbruches. Männer, die Tränen vergossen, waren ihm suspekt, und taten sie es öffentlich, zuwider. Und obwohl seine Gottesfürchtigkeit sich in recht engen Grenzen bewegte, war er nichtsdestotrotz unerschütterlich in seinem Glauben. Den glücklichen Ausgang des Kreuzordals sicherte sich nicht der kräftigere Mann, sondern der, den der Lenker der Welt dazu bestimmte.
    In dem Augenblick, in dem Alexander von Westheim – von Gott verlassen – die Arme hinabfallen ließ, erhob sich Sigimund von seinem Platz und schritt auf den Händler zu. Auch Konrad senkte nun die Arme, mit grimmigem Blick schaute er zu dem Juden.
    »Der Herr hat sein Urteil gefällt«, verkündete Hieronymus feierlich.
    Der Herr des Hauses Laurin schlug dem Angeklagten ohne Vorankündigung ins Gesicht, drei, vier Fausthiebe, bis der Nasenrücken ein dumpfes Knacken von sich gab und von Westheim das Blut aus der Nase stob. Sigimund riss den Benommenen auf die Beine und zog ihn hinter sich her, so schnell, dass von Westheim mehrmals ins Straucheln geriet.
    Giselbert wartete auf der Lichtung, die auszuwählen der Herr derer von Laurin ihm übertragen hatte. Sein Leinen leuchtete von Kopf bis Fuß in einem kräftigen Rot, sein Stand war angehalten, auffällige Kleidung

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