Isenhart
Henrick gegenüberstehen zu sehen. Er hatte alles mit angehört.
Henrick war das Blut aus dem Gesicht gewichen, Konrad seufzte, mit seinen Zehen malte er Halbkreise in den Sand. »Es sind nur Hühner, Isenhart«, spielte er die Sache herunter, er wusste nur zu genau, wie sehr Henrick an den Tieren hing.
»Das sind sie nicht«, schleuderte Henrick ihm so entrüstet entgegen, dass sein Speichel fein zerstäubt im Hof niederging.
»Mein Vater hat es befohlen«, entgegnete Konrad.
Darauf wusste Henrick nichts mehr zu sagen, geradezu schmerzlich nahm er seine Beschränktheit wahr, die vieren seiner Hühner buchstäblich den Hals kosten würde.
»Herr und Knecht, hm? Der Herr befiehlt, der Knecht muss sich beugen«, sagte Isenhart. Er sagte es leise und ruhig, und doch war jede Silbe ein Stachel, der in Konrads Fleisch fuhr.
Er hatte es gewusst, zumindest geahnt, dass ihm für diesen einen Satz, der ihm damals über die Lippen gekommen war, eines Tages die Rechnung präsentiert werden würde. Und hier war sie. Es machte die Angelegenheit nicht einfacher, dass er Isenharts Blick auf sich gerichtet fühlte, auf jedes Heben des Lides oder Zucken des Mundwinkels.
»Schön, was soll ich jetzt machen?«
Isenhart verzog den Mund zu einem leisen Lächeln, er trat an Konrad heran. »Die Frage ist, wer Herr ist und wer Knecht.«
»Du bist nicht mein Knecht«, erwiderte Konrad vorsichtig und wandte den Blick zu Henrick, »aber dein Bruder ist es.«
»Dann bist du Knecht deines Vaters«, warf Isenhart ein, »dabei muss man nur zwei Dingen gegenüber Knecht sein, Gott und dem Gewissen. Also?«
Konrad wie Henrick waren konsterniert, sie konnten den Gedanken kaum folgen, geschweige denn den logischen Schluss artikulieren, den Isenhart mit dem Wort »also« eingefordert hatte.
»Also was?«, fragte Konrad verärgert.
»Also musst du dich entscheiden, ob du Knecht sein willst oder Herr.«
»Herr.«
»Dann geh und sag deinem Vater, dass wir keines der Hühner herausgeben. Natürlich machst du dich damit gegenüber deinem Vater zum Herrn, aber zu unserem Knecht.«
Konrads Verwirrung war komplett, Henricks Augenlider flatterten vor Nervosität.
»Wie soll ich ihm das erklären, Isenhart? Sag mir das mal.«
»Gar nicht. Ich erklär’s ihm.«
Konrad von Laurin fühlte sich wie ein kleines Kind, dessen Intellekt noch nicht ausgebildet genug war, um dem Gespräch von Erwachsenen zu folgen.
»Es könnte meinen Vater sehr wütend machen, wenn er zu dieser Stunde selbst ein paar Hühner besorgen muss.«
»Ich glaube nicht, dass er sich dem Zorn überlässt«, antwortete Isenhart gelassen, weil er Sigimund damit zitierte.
Konrad versuchte, mit einem besorgten Blick zu ergründen, ob sein Freund sich der Tragweite seines Verhaltens bewusst war. Dann überquerte er den Burghof wieder, um wenig später mit seinem Vater zurückzukehren.
Dieser richtete ohne Umschweife die Frage an Henrick, wo dessen Impertinenz herrührte, mit der er seinem Herrn die vier Hühner verweigerte, nach denen er verlangte. Henrick begann zu zittern, daraufhin ergriff Isenhart das Wort.
Sein Bruder hatte diverse Kreuzungen durchgeführt. Isenhart meinte anhand der Ergebnisse herleiten zu können, dass es – wie beim Menschen auch – Eigenschaften gab, die von den Vätern an die Söhne – in diesem Fall an die Töchter – weitergegeben wurden.
»Konrads zupackendes Wesen, wenn ich das sagen darf, stammt von Euch. Er hat die Augen seiner Mutter, er hat Euren Mund.«
Dann entführte Isenhart Sigimunds Geist – freilich, ohne es zu wissen – in die Grundlagen der Vererbungslehre. Isenhart machte ihm nachvollziehbar, dass die vier Hühner, um die es ging, zum Verspeisen viel zu schade waren, weil sie den Grundstock einer neuen Gattung von Hühnern bildeten, die das Doppelte an Eiern und Küken abwerfen würde. Raubte man seinem Bruder für den schnellen Genuss die Hühner, schnitt man sich auf längere Sicht ins eigene Fleisch, weil Henricks Bemühungen damit um gut zwei Jahre zurückgeworfen werden würden. Abschließend stellte er fest, dass man dem Herrn des Hauses Laurin niemals den Zugriff auf das Geflügel verwehren wollte.
Sigimund ließ die Augen lange auf dem jungen Pinkepank ruhen. Dann endlich nickte er, und Maximilian und Dolph von Grundauf wurden mit Bohnen, Kresse und Getreidebrei beköstigt. Der Traube Laurin lange und ausdauernd zusprechend, lobten sie sogar den Brei. Nie zuvor hätten sie erleseneren zu sich genommen.
Diesen
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