Isenhart
Gefieder zerrupften. Unruhig wanderten sie umher, über ihn hinweg, zwei Hennen gerieten miteinander in Streit, und obschon der Lärm, den sie dabei verursachten, höchst verräterisch war, hatte Henrick es nicht übers Herz gebracht, einer von ihnen den Hals umzudrehen.
Nachdem Isenhart und Gunther vorsichtig die Ränder des Verschlags freigelegt hatten, hoben sie die Decke der Grube an. Die Hühner wandten die Köpfe ab und Henrick kniff die Augen zusammen, weil sich das Tageslicht mit schmerzhaftem Gleißen in seinen Kopf bohrte.
Das Federvieh hüpfte und flatterte aus der Grube, die es vor den hungrigen Mägen der Brabanzonen bewahrt hatte.
Sobald seine Augen sich einigermaßen an das Tageslicht gewöhnt hatten, schloss Henrick außer sich vor Freude seinen Bruder in die Arme und dankte dem Herrn, dass dieser Isenhart verschont hatte.
Als sei es nicht schon schwierig genug für sie beide, unter den Augen Wilbrands das Weite zu suchen, weigerte Henrick sich selbstverständlich, auch nur einen Schritt ohne die Hühner zu tun. Die neue Hühnerzucht, die Isenhart ihm in Aussicht stellte, war Henrick kein rechter Trost. Er wollte nicht irgendwelche Hühner, er wollte diese. Mit jedem Wort, mit dem Isenhart und auch Gunther ihn beschworen, um seines Lebens willen endlich Einsicht zu zeigen, nahm Henricks Haltung trotzigere Formen an. Arme und Beine versteiften sich, er presste die Kiefer aufeinander. Als Gunther schließlich laut wurde, weil ihm seinen Worten zufolge noch nie so ein bockbeiniger Dickschädel begegnet war – ein Pleonasmus, wie Isenhart erkannte –, bereitete Isenhart der Auseinandersetzung ein Ende, indem er sich zwei Hühner schnappte und damit loszog.
Kaum hatte er die ersten Schritte zurückgelegt, hellte Henricks Miene sich auf. »Wo bringst du sie hin?«
»Nach da hinten«, erwiderte Isenhart ungerührt, »da dreh ich ihnen den Hals um.«
Jegliches Blut wich aus Henricks Gesicht. Und mehr hatte Isenhart auch nicht bezweckt.
»Nur ein Scherz, Henrick. Nur ein kleiner Scherz.«
Isenhart nutzte den einzigen Vorteil, über den sie verfügten: die Kenntnis über den Grundriss der Burg. Natürlich hatten die Brabanzonen das Haus Laurin in einer bestimmten Reihenfolge geplündert, sie orientierten sich dabei an der Hierarchie der Werte. Zunächst ging es um Geld, Schmuck und teure Rüstungsteile wie Plattenpanzer und Kettenhemden. Im Anschluss folgten die Tiere,allen voran die Pferde. Für den Gegenwert eines einzigen Rosses musste ein Bauer ein Jahr arbeiten. Wer keines mehr an sich bringen konnte, versuchte sich einen Maulesel zu sichern. Dann ein Schwein oder eine Ziege. Und je länger sie die Burg nach allem durchstreiften, was ihren Reichtum steigern konnte, desto mehr Dinge kamen infrage, weil sie beim Verkauf ein ähnliches Entgelt erzielen würden.
Steigbügel oder Sporen, auf die sie in der Schmiede stießen, konnten zwar nicht den Wert einer Ziege aufwiegen, dafür waren sie aber leichter zu transportieren und mussten nicht mit Futter und Wasser versorgt werden.
Mit etwas Glück, so Isenharts Überlegung, würden sie also dort, wo für Plünderer am meisten zu holen war, nun niemanden mehr antreffen. Dementsprechend orientierte er sich an den Räumen und Gängen, in denen Wilbrands Soldritter mit ihrer Plünderung begonnen hatten – den Gemächern der Familie Laurin.
Auf diese Art erreichten sie den Fluchtstollen und an dessen Ausgang dann die beiden Pferde, die Isenhart dort zurückgelassen hatte.
Gunther verließ die Burg über das rußgeschwärzte Portal, vor dem die verbrannten Brabanzonen auf die Größe kleiner Kinder zusammengeschrumpft waren. Ein paar barmherzige Männer hatten sie zu einem kleinen Haufen gestapelt und waren nun dabei, sie zu verscharren.
Gunther war mit einem Karren aus Grüningen hierhergeeilt, den er ihnen nun überließ, wofür Henrick ihm schweren Herzens drei seiner jüngsten Hühner überlassen musste, denn vermutlich, so meinte Gunther, würden sie sich in ihrem irdischen Dasein nicht mehr begegnen und Henrick damit ein Leben lang sein Schuldner bleiben, ein Zustand, der Henrick – so gut kenne er ihn – ganz gewiss schwer zu schaffen machen würde. Um ihm das zu ersparen, nahm Gunther die Hühner bereitwillig an und wünschte ihnen viel Glück.
Das hatten sie tatsächlich, denn bis auf einen Radbruch gelangten sie in den kommenden zwei Tagen ohne Schwierigkeiten nach Bruchsal, wo sie fast zeitgleich mit Simon Rubinstein an dem
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