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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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hervorbrachte. Die Umgebung gehörte bis zum Morgengrauen den Gesetzlosen und den Tieren. Und das Innere verwandelte sich in ein warmes Nest in der Dunkelheit, das von den Wachleuten beschützt wurde und den Bewohnern einen Schlaf gewährte, aus dem sie wieder erwachten.
    Konrad trug seine Haare halblang, sie fielen ihm in dichten Strähnen auf die Schultern. Ebenso wie Isenhart hatte er sich einen Vollbart stehen lassen, den sie einmal pro Woche stutzten. Er ließ sie erwachsener wirken, aber die Augen verrieten ihr wahres Alter.
    Hin und wieder rieb Konrad sich die Knöchel der rechten Hand.
    »Was ist mit deinen Knöcheln?«, fragte Isenhart deshalb.
    »Sie tun mir weh«, antwortete Konrad.
    »Dann schlag doch nächstes Mal mit links zu.«
    »Mit links hab ich nicht so viel Kraft, da schlag ich wie ein Weib.«
    Sie führten ihre Pferde vom Rhein weg und schlugen eine Route nach Südwesten ein. Der Fluss beschrieb einen weiten Bogen, den sie mit einem Ritt über die Wiesen verkürzten, um eine halbe Stunde später wieder seinem Verlauf zu folgen.
    »Sie muss ein breites Becken haben«, sagte Konrad, sie trabten über die Weiden auf Heiligster zu, »die Kinder sollen mühelos aus ihr rausflutschen.«
    »Die Kinder flutschen nicht«, entgegnete Isenhart, »die Kinder tun gar nichts. Es liegt einzig an den Muskeln im Unterleib der Mutter, die ihr …«
    »Wie auch immer«, unterbrach Konrad, »sie soll ein breites Becken haben.«
    Dann stirbt sie nicht bei der Geburt.
    »Dann stirbt sie nicht bei der Geburt«, fügte Konrad hinzu.
    Und sie muss was auf den Rippen haben.
    »Und natürlich sollte sie auch gut was auf den Rippen haben.«
    Auch lange zieren soll sie sich nicht.
    »Zieren soll sie sich auch nicht zu lange«, schloss Konrad dieAufzählung der Vorteile jener Frau, die ihm einmal seine Kinder gebären sollte.
    Isenhart lächelte in sich hinein.
    »Was ist so komisch?«
    »Nichts.«
    In den letzten fünf Jahren waren sie selten ohne den anderen gewesen, Isenhart war, als kenne er Konrad in- und auswendig. Wenn er die Gedanken seines Freundes vorhersah, die dieser dann in Worte fasste, stellte sich bei Isenhart ein warmes Gefühl ein, ganz so, als streiche ihm die Abendsonne sanft über die Haut. Er fühlte sich Konrad nahe, mehr noch: bei ihm geborgen, obwohl sie auch etwas Fundamentales trennte: Konrad war nicht neugierig.
    So wägten sie auf ihren Wegen nach Heiligster die Vor- und Nachteile des anderen Geschlechts ab, oftmals boten Konrads neueste Bekanntschaften aus den Freudenhäusern Spiras, in denen sich auch viele der edlen Damen ein Zubrot erschliefen, ausreichenden Gesprächsstoff.
    Die beiden erreichten eine Anhöhe und stoppten ihre Pferde. Die Wiese, die übersät war von wilden Blumen, um deren Nektar unzählige Insekten auf und ab tanzten, erstreckte sich von hier hinab bis zu dem Gut, das von alten, schweren Bäumen umsäumt war. Ein Stall und ein kleines Nebengebäude, beide aus Lehm und Holz. Das Haupthaus, ein Gebilde aus lauter Winkeln, von denen sich keiner auf neunzig Grad belief, bestand sogar aus Stein. Ein unnatürlich gerader Flusslauf umspülte Heiligster mit frischem Wasser.
    Exakt auf dieser Anhöhe hatten sie vor fünf Jahren auch gestanden, der Winterwind hatte die Schneeflocken tanzen lassen.
    Damals, in jener Winternacht, als sie Heiligster das erste Mal erreichten, schien das Anwesen aus dunklen Fensteröffnungen, die über keine Läden mehr verfügten, auf sie zu starren wie ein ausgehöhltes Wesen. Kalt und abweisend lag es da. Ausgekühlte, kahle Wände erwarteten sie, die Natur hatte in Form von Sträuchern und Unkraut begonnen, diesen Platz, den einst Menschen ihr abgetrotzt hatten, gemächlich zurückzuerobern. Heiligster war in einem erbärmlichen Zustand.
    Marie stieß damals auf einen löchrigen Ofen, ein Wunder, dass er noch nicht gestohlen worden war. Er qualmte nach allen Seiten und ließ ihnen die Tränen in die Augen steigen und sie immerzu husten. Aber sie erfroren nicht.
    Von hier aus, einem Raum im Steinhaus, begannen sie, Heiligster wieder bewohnbar zu machen. Sie fällten Bäume und zimmerten Fensterverschläge. Isenhart sammelte mit Sophia und Marie Holz im Wald, riss den Ofen ab und schmiedete in ihm den Kubus für eine neue Beheizung. Obwohl er Tag und Nacht arbeitete, waren die anderen gezwungen, sich zwei Nächte lang an einem offenen Feuer zu wärmen, bevor der neue Ofen in Betrieb genommen werden konnte.
    Der Rauch zog verlässlich über den

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