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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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leerten einen Humpen nach dem anderen und prellten nicht die Zeche. Obschon sie unsicher in Bewegung und Blick waren, nahm niemand Anstoß an ihrem Zustand der Trunkenheit, denn er gehörte zu ihrer Zunft.
    Hin und wieder torkelten sie hinaus, dann gab die Sonne ihnen den Rest, und sie pinkelten in den Bottich, in dem das Leinen in einer Brühe aus Wasser und Färberwaid schwamm, einer Pflanze,die eine ähnliche Blaufärbung ermöglichte wie das unerschwingliche Indigo aus Indien.
    Durch das Beimengen von Alkohol wurde eine intensivere farbliche Sättigung erreicht, aber natürlich war das in den Augen der Färber – und nicht nur in ihren – eine wenig gottgefällige Verschwendung. Also tranken sie den Alkohol, bevor sie sich in den Bottich erleichterten.
    Das Färberhandwerk wurde nicht gut entlohnt, aber die Färber verbreiteten überwiegend gute Laune. Sie mussten nur trinken, warten und urinieren. Darin bestand, neben dem Aufhängen des gefärbten Leinens, ihr Handwerk. Erschien der Stoff anfangs noch gelblich, brachte die Kraft der Sonne nach einer Weile das Blau zur vollen Geltung.
    »Sie hätten diesen Löwenherz vermodern lassen sollen«, sagte einer der Färber.
    Der andere merkte auf, in seinen Augen glomm die Streitlust. »Und wozu?«
    »Was weiß ich.«
    »Ja, was weißt du schon? Der Mann hat immerhin Saladin geschlagen«, erinnerte der Färber seinen Handwerksgenossen mit schwerer Zunge.
    »Saladin geschlagen – aber Jerusalem hat er nicht erobert, dein Engländer.«
    Die beiden redeten sich, befeuert durch den Alkohol, der ihnen Kraft und den einzigen Zugang zur Wahrheit suggerierte, in Rage. Ein Wort gab das andere, denn tatsächlich war es Richard Löwenherz 1191 bei Arsuf während des dritten Kreuzzugs gelungen, Sultan Saladin zu schlagen. Jerusalem indessen vermochte er nicht für die Christenheit zurückzuerobern, weswegen er mit leeren Händen heimgekehrt war.
    Der große Saladin, mit dem Richard zuvor Frieden geschlossen hatte, war am 4. März 1193 in Damaskus gestorben.
    Darüber ereiferten sich die beiden Färber, bis einer von ihnen seinen Humpen Bier hochriss, um ihn dem anderen über den Schädel zu ziehen. Noch in der Ausholbewegung umschloss ein beherzter Griff sein Handgelenk, er fuhr wütend herum und ergoss dabei den Inhalt des Humpens über den Boden. Ebenso empört wie streitlustig blickte er den Mann an, der sein Handgelenk umklammert hielt. Er war um einen halben Kopf kleiner, ansonsten durchaus von kräftiger Statur, und um seinen Mund spielte ein nahezu freundliches Lächeln. Eine feine Narbe, die sich vom linken Auge bis zum linken Ohr zog, verlieh ihm den Nimbus von Kampferfahrung.
    »Loslassen«, lallte der Färber.
    »Nein«, erwiderte Konrad ruhig, »ich bin Wachmann der Stadt Spira.«
    Der Färber erkannte das Wappen des Ortes, eine bildliche Darstellung des Domes zu Spira, auf dem Lederwams des Mannes.
    Der andere Färber erhob sich und trat neben den Arbeitskameraden, mit dem er gerade eben noch fast in eine Prügelei geraten war. Er fixierte Konrad. »Er ist nicht allein«, ließ er ihn mit drohendem Unterton wissen.
    Ein zweiter Mann trat in das Gesichtsfeld der beiden Färber. Er war ein wenig kleiner und schmaler, aber auch er trug das Wappen an der Brust. »Er auch nicht«, sagte der Kleinere. Es war Isenhart. Keinerlei Wut oder gar Feindseligkeit lag in seinem Blick, nichts weiter als eine Feststellung, die ihm über die Lippen gekommen war.
    »Und nun loslassen«, verlangte Konrad, der jetzt nicht mehr lächelte.
    »Sonst was?«, gab der Färber zurück.
    »Sonst das«, erwiderte Konrad und hieb ihm mit der Faust zwischen die Augen.
    Die Pferde, auf deren Rücken sie Spira hinter sich ließen, waren Eigentum der Stadt, doch drückte der Hauptmann der Wachmannschaft ihnen gegenüber ein Auge zu. Durch die Vermittlung Simon Rubinsteins hatte man Konrad und Isenhart für die Wachmannschaft Spiras rekrutiert.
    Das Heilige Römische Reich war übersät von Wiesen, Wäldern und Sümpfen, wie Walther ihnen erzählt hatte, er musste es wissen, denn er kannte so ziemlich jeden Winkel des Reiches. Nicht einmal ein Fünftel der Reichsfläche, das hatte er grob überschlagen, war urbar gemacht worden.
    Siedlungen wie Spira oder Worms bildeten einsame Oasen, diedurch Trampelpfade oder Flussläufe miteinander verbunden waren. Zur neunten Abendstunde verriegelten die Wachmänner die Tore. Dann verschlossen sie die Oasen vor der Nacht und all den Gestalten, die diese

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