Isis
Vielleicht kommt er mit ihnen weiter.«
»Dein neunmalkluger Baumeister hat es seinerzeit jedenfalls nicht geschafft.«
»Nein«, sagte Montemhet. »Zu meiner Überraschung konnte Basa uns nicht helfen. Manchmal scheint mir sogar, als würden die Diebe seitdem noch dreister. Aber genau das ist es, was sie früher oder später zu Fall bringen wird - Unvorsichtigkeit und Größenwahn. Ich bin dabei, eine Sonderkommission einzusetzen, die dieses Verbrechen weiterverfolgt. Dazu gehört auch, dass alle Siegel an den Gräbern kontrolliert werden. Erst danach können wir das Ausmaß des Schadens richtig bemessen.«
»Die Angelegenheit lässt dir wohl keine Ruhe«, sagte die »Gottesgemahlin«.
»Wie könnte sie das? Je mehr Kostbarkeiten aus den alten Gräbern Waset überschwemmen, desto jäher schnellen die allgemeinen Preise in die Höhe. Emmer kostet inzwischen das Dreifache des Vorjahres. Sollen unsere braven Leute hungern, nur weil ein paar Frevler ihre Gier befriedigen wollen?« Er leerte seinen Becher. »Außerdem ist mir zu Ohren gekommen, dass sie die Gräber nicht nur plündern, sondern auch die Mumien schänden.«
»Dieser Abschaum!«, rief Nitokris. »Den Tod haben sie verdient!«
»Sie zerbrechen sie in kleine Teile oder pulverisieren die Gebeine, um sie außer Landes weiterzuverkaufen. In Griechenland beispielsweise sollen sie sich als Medizin großer Beliebtheit erfreuen.« Er senkte die Stimme. »Um von der Gicht zu befreien oder die Potenz zu stärken.«
»Das kann nicht wahr sein!«, sagte Schepenupet erstickt.
»Kein Bürger Kemets kann so tief sinken!«
»Es ist offenbar leider wahr. Was mich betrifft, so habe ich meine persönlichen Konsequenzen gezogen. Jeden Tag im Leben sind wir vom Tod umgeben, das ist mir nun erst recht bewusst geworden. Zeit zu handeln.«
»Was meinst du damit?«, fragte Nitokris neugierig, die im Lauf der Unterhaltung immer näher gerückt war, um ja nichts zu verpassen.
»Das ist nun etwas, was nur die >Gottesgemahlin< und mich angeht«, sagte er. »Lässt du uns bitte einen Moment allein?«
Wie ein trotziges Mädchen sprang Nitokris auf und verschwand.
»Jetzt hast du sie verletzt«, sagte Schepenupet. »Musste das sein? Wo sie sich solche Mühe gibt, seitdem ich krank war.
Von ihrem Vater redet sie höchstens nur noch einmal am Tag. Ich glaube, sie fängt an, mich wirklich zu mögen.«
»Ich beginne schon sehr bald mit dem Bau meines Grabes«, sagte er, ohne den Blick von ihr zu lassen. Es war ihm egal, ob neugierige Augen sie beobachteten, er griff nach ihrer Hand und presste sie an sein Herz. »Es liegt an einem verborgenen Ort, den keiner dieser Frevler jemals aufspüren wird. Ich möchte es prachtvoll ausmalen lassen. Und es wird sehr groß sein - zu groß für einen Sarkophag.«
»Ich verstehe nicht ganz«, sagte sie langsam.
»Ich glaube, du verstehst ganz gut, Geliebte. Das Leben mit dir hat man mir verwehrt. Aber die Ewigkeit gehört uns. Dein Sarg soll neben meinem ruhen. Im letzten Schlaf wird keiner uns mehr trennen.«
oooo
Auf dem Totenbett sah Ruza so klein und zart aus, dass Merets Tränen unaufhaltsam flossen.
»Weine ruhig, Liebes, weine!«, sagte Sanna und berührte sie sanft. »Aber sei nicht zu verzweifelt! Schmerzen und Qualen hat sie hinter sich. Jetzt wiegen sie andere Arme als die unsrigen. Ruza hat ihr ganzes Leben die Göttin so geliebt. Isis wird sich ihrer im Westreich mütterlich annehmen.«
»Lässt du mich mit ihr allein?«, bat Meret. Sie hatte ihr Kleid zerrissen, wie es der Brauch war, sich aber die Klageweiber verbeten. Es schien ihr richtiger, auf ihre Weise Abschied von Ruza zu nehmen, bevor der Leichnam in
die Hände der Balsamierer gegeben wurde.
Nachdem Sanna gegangen war, blieb Maret neben dem Bett sitzen. Sie konnte spüren, dass Ruzas Seele als BaVogel den Körper längst verlassen hatte und nur noch eine leere Hülle zurückgeblieben war. Und dennoch fühlte sie sich ihr so nah wie nie zuvor.
»Ich war gemein zu dir und oftmals ungerecht«, flüsterte sie. »Weil ich nicht aushalten konnte, wie sehr du mich geliebt hast. Manchmal war es mir sogar lästig. Denn ich habe dich insgeheim dafür verantwortlich gemacht, dass ich nicht so bin wie die anderen. Dabei trifft dich keine Schuld. Keiner ist schuld daran.«
Sie warf sich über die Tote und begann noch heftiger zu weinen.
»Was soll ich nur ohne dich anfangen? Du hast mich nicht geboren. Aber du wirst für mich trotzdem immer meine Mutter sein, das
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