Isis
Hause kam.« Er nickte müde. »Aber zu diesem Zeitpunkt konntest du noch gar nicht wissen, dass Mama tot war. Ihre Leiche wurde erst sehr viel später angetrieben.«
Nezem schwieg beharrlich.
»Wieso hast du es dann getan?« Ihre Stimme drohte zu kippen. »Weil du dir sicher warst, dass Mama nicht mehr nach Hause kommen würde?«
»Du hast ja keine Ahnung, Isis! Du warst noch ein Kind.«
»Aber jetzt bin ich kein Kind mehr. Ich will es wissen, Papa.
Ich muss es wissen! Was ist passiert?« Atemlos redete sie weiter. »Sie ist gar nicht ertrunken, nicht wahr? Es war kein Unfall, sondern sie ist in den Fluss gegangen, weil sie keinen anderen Ausweg wusste. Was ist geschehen, dass sie nicht mehr leben wollte? Es muss etwas Schreckliches gewesen sein, denn sonst hätte Mama uns niemals verlassen. Ich will endlich alles erfahren. Ich bin ihre Tochter. Ich habe ein Recht darauf.«
»Hör auf!« Mit aufgerissenen Augen starrte Nezem sie an.
»Ich halte es nicht länger aus. Hör sofort damit auf!«
»Ich werde erst aufhören, wenn ich die ganze Wahrheit weiß.
Was ist mit Basa? Haben Mama und er .«
Nezem drehte sich mit einer Geschmeidigkeit um, die sie ihm nicht zugetraut hatte. Er lief hinaus und sperrte die Türe zu.
Isis hörte ihn davonrennen, als sei eine Hundemeute hinter ihm her.
Dann wurde es still.
oooo
Schepenupet legte den Brief zur Seite, als sie das vorsichtige Klopfen hörte. »Komm rein!«, rief sie.
»Du bist noch wach?« Vorsichtig schob Nitokris ihren schmalen Kopf durch die halb geöffnete Türe. »Ich habe Licht bei dir gesehen.«
»Ja, ich bin viel zu aufgekratzt, um schon zu schlafen. Eigentlich wollte ich dir die Überraschung erst morgen verkünden.
Aber da du schon einmal hier bist — lies!« Sie reichte der Adoptivktochter den Papyrus.
Nitokris erkannte sofort das königliche Siegel.
»Von meinem Vater?«, sagte sie erstaunt und begann zu lesen. »Und er kommt uns zum Opet-Fest besuchen. Ich freue mich — ich hatte schon befürchtet, er hätte mich ganz vergessen.«
»Unsinn! Psammetich hat weder dich vergessen, geschweige denn Waset und den Tempel, egal, was Horachbit und seine Getreuen verbreiten.«
»Du weißt davon?«
»Natürlich«, sagte Schepenupet heiter. »Sie geben sich ja keine allzu große Mühe, ihre Meinung zu verbergen.« Beide lachten. »Der Pharao ist dabei, die Armee zu reorganisieren«, fuhr sie fort. »Keine unserer Grenzen ist ausreichend gesichert. Mag auch der Stier von Assur nicht mehr ganz so laut brüllen, weil er mit den Nachbarn im Westen zu tun hat, es gibt andere, deren Appetit nicht minder groß ist.«
»Besteht denn Gefahr?«, fragte Nitokris. »Wird es bald wieder Krieg geben?«
»Hoffentlich nicht. Es gibt kein größeres Übel als den Krieg.
Einmal glaubte ich schon, das Schrecklichste verhindern zu können, aber ich habe mich gründlich getäuscht. Seitdem weiß ich, dass man niemals sicher sein kann. Und dein Vater, der Pharao, weiß es auch.«
Die »Gottesgemahlin des Amun« trank einen Schluck Wein.
»Deshalb hat er sich mit dem lydischen König Gyges verbündet, deshalb holt er immer mehr karische und ionische Söldner ins Land. Außerdem rüstet Psammetich die Flotte auf, weil er davon überzeugt ist, dass Kernet künftig auch als Seemacht stark sein muss. Ich denke, er beweist damit große Voraussicht. Denn auch rund um das große grüne Meer gibt es Völker, die gierig nach unseren Schätzen sind.«
»Es wird also niemals aufhören, dieses fürchterliche Kämpfen und Sterben«, sagte Nitokris nachdenklich. »Kaum ist irgendwo Frieden geschlossen, brodelt anderswo schon wieder ein neuer Konflikt. Weißt du, weshalb die Menschen so grausam sein müssen, Mutter?«
Zum ersten Mal seit langer Zeit, dass sie Schepenupet so nannte. Die »Gottesgemahlin« spürte eine Welle von Freude.
Montemhet hatte Recht gehabt mit dem, was er über Nitokris vor langer Zeit gesagt hatte. Sie war froh, dass sie nicht vorzeitig aufgegeben hatte.
Sie fasste Nitokris bei der Hand. »Ich habe mich stets bemüht die Menschen zu verstehen«, sagte sie, »auch wenn es mir beileibe nicht immer gelungen ist. Ich glaube, Nitokris, wir können nur bei uns selbst beginnen. Solange wir neidisch, hasserfüllt oder rachsüchtig sind, dürfen wir nicht erwarten, dass andere uns gütig und friedfertig begegnen.
Nur wenn wir uns ändern, ändert sich eines Tages vielleicht auch die Welt.«
»Das klingt ja fast wie ein Abschied!« Die Augen der jungen
Weitere Kostenlose Bücher