Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter
eine Hand auf die Schulter gelegt hätte.
»Das erwähnte ich bereits. Du erinnerst mich an jemanden. An ein Mädchen, das wie du unheimlich klug war.«
Ich hatte also recht. Es gab eine Verbindung. Aber an wen erinnerte ich ihn? An einen Highschool-Schwarm? Eine verlorene Liebe? Elektrizität pulsierte durch meinen Körper, aber es gelang mir, meine Stimme zu dämpfen. »Ein Mädchen?«
»Acari Charlotte.« Er stemmte die Arme gegen das Lenkrad, lehnte sich zurück und starrte durch die Windschutzscheibe nach draußen. »Meine Schwester.«
Enttäuschung erfasste mich. Keine Freundin oder Geliebte. Ich erinnerte ihn an seine Schwester . Nun ja. Obwohl es immer noch besser war als ein Sportskamerad oder ein Kumpel aus dem Pub. Herzerwärmend. Zum Kotzen.
»Sie machte die Wächter-Ausbildung. Nach kaum einem Monat war alles vorbei.«
Ich schluckte, bemühte mich aber, cool zu bleiben. »Deine Schwester?«
»Sie war in vielen Dingen wie du. Widerspenstig. Unverstanden.« Er sah mich an, und die Trostlosigkeit in seinen Augen ließ mich einen Moment lang meine eigene Bitterkeit vergessen. »Sie gab sich solche Mühe, aber tief in ihrem Wesen war sie zu … sanftmütig. Und die Mädchen hier spüren jede Schwäche. Charlotte hatte nie eine Chance.«
Ich senkte den Kopf, weil ich seinen Blick nicht länger ertragen konnte. Sein Kummer brach mir das Herz.
Aber ich fühlte mich auch beschämt. Ronan hatte seine Schwester verloren, und meine Reaktion war erst mal egoistische Enttäuschung. Ich hatte gehofft, er würde mir eine andere Story erzählen. Ich hatte gehofft, er würde mich mit anderen Gefühlen in Verbindung bringen.
Ich spürte, wie er zögernd die Hand nach mir ausstreckte. Dann zeichnete er mit einem Finger die Konturen meines Gesichts nach. Die Wärme, die er ausstrahlte, schnürte mir die Kehle zu. Ein Prickeln ging durch meinen Körper, und das hatte nichts mit seinen magischen Kräften zu tun, sondern einfach damit, dass er Ronan war und dass er mich berührte.
Meine Wange schmiegte sich in seine Hand, als ich mich ihm zuwandte. Das unheimliche Zwielicht ließ sein Haar noch dunkler und seinen Blick noch tiefer erscheinen.
»Aber Charlotte sah längst nicht so hübsch aus wie du.«
Die Aufregung presste die Luft aus meinen Lungen. Hitze breitete sich in meinem Körper aus. Ronan fand mich hübsch.
Mit einem Seufzer löste er sich von mir. »Du bist schön, Annelise. Und du bist stark. Ich glaube, du kannst diesen Wettbewerb gewinnen. Aber du musst an deinen Sieg glauben.«
Ich nickte ihm kurz zu. Ronan war kein Vampir. Kein Monster, kein Draug, kein untotes Geschöpf der Nacht. Er war ein junger Mann, und er fand mich hübsch.
Zugegeben, er besaß ein paar übernatürliche Kräfte, die ihn vom Durchschnitt abhoben. Aber er hatte an mich geglaubt, als die anderen praktisch keinen Pfifferling auf mich gaben. Selbst wenn er seine magischen Tricks angewandt hatte, um mich hierher zu holen, war das geschehen, weil er an mich glaubte. Weil er glaubte, ich könnte es schaffen. Ein Teil von mir hegte den Verdacht, dass er mir sogar einen Aufstieg zutraute.
Du bist schön, Annelise. Und du bist stark.
Er legte einen Finger unter mein Kinn und hob meinen Kopf. »Bist du bereit?«
Ich wusste, dass er den Wettkampf meinte. Aber irgendwie träumte ich davon, dass er mehr meinte.
»Ja«, wisperte ich kaum hörbar. Ich stand im Begriff, unbekanntes Territorium zu erkunden, und ich würde überleben, um diese Sache zu einem Ende zu bringen.
Erst als das Wohnheim in Sicht kam, fand ich die Sprache wieder. Unsere Unterredung war etwas ganz Besonderes gewesen. Dieses Gefühl verband uns, und es machte mir Mut.
Ich durfte durch das eben Erlebte nicht vergessen, was hier eigentlich auf dem Spiel stand. Dass es mehr denn je um Leben und Tod ging. Ronan glaubte allen Ernstes, dass ich gewinnen könnte, und das stärkte mir den Rücken. Machte mich zuversichtlich. »Allem Anschein nach ist Feuer Lilous besondere Begabung.«
Ronan starrte geradeaus. »Feuer ist eine Fertigkeit , die sie besitzt«, sagte er ausdruckslos. »Lilous besondere Begabung liegt auf einem anderen Gebiet.«
Ich beugte mich vor. Bis jetzt war ich davon ausgegangen, dass ihr Ding irgendwie mit Pyromanie zu tun hatte. Wenn sie jedoch ein anderes Talent besaß, dann musste ich das wissen. »Tatsächlich?«
Er zögerte. »Ich darf dir das eigentlich nicht sagen.«
»Ich weiß, ich weiß. Aber nun hast du schon so viel gesagt, dass du
Weitere Kostenlose Bücher