Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter
Schwarzen Löchern bis zu gefährlich mutierten Bakterien so ziemlich alles beherbergte, stellten Vampire eher ein Luxusproblem dar.
Ich fragte mich, was an den alten Legenden dran sein mochte. Konnte man auch Vampire ins Jenseits befördern? Oder waren sie für immer untot? Gab es überhaupt Geschöpfe, die ewig lebten?
Mir kam dieser 250 Millionen Jahre alte Bakterienstamm in den Sinn, den Forscher in einer Höhle in New Mexico entdeckt hatten. Und dann dachte ich an die ausgestorbenen Rassen – an die definitiv toten Arten – die man mit Hilfe hochmoderner DNS -Technologien zurückgeholt und wieder auf der Erde ausgesetzt hatte.
Bei Vampiren erschien das auf den ersten und auch auf den zweiten Blick sehr gut möglich. Nicht dass ich mir lange darüber den Kopf zerbrechen musste. Der Beweis stand schließlich gut sichtbar vor mir.
Wie um das Resultat meiner Schlussfolgerung zu unterstreichen, ließ der Rektor Mimis schlaffen Körper achtlos zu Boden gleiten. »Zu wem gehörte sie?« Sein Blick wanderte über meine Schulter hinweg und verharrte dort.
Gegen meinen Willen wandte ich mich um.
Seine Augen durchbohrten Ronan, der unbemerkt hinter mich getreten war. » Ronan «, fauchte er.
Musste ich um Ronan fürchten? War er der Nächste auf der Speisekarte des Rektors? Ich biss mir so heftig in die Wange, dass ich Blut schmeckte. Bitte nicht Ronan! Jeden anderen, aber nicht Ronan! Es war nicht so, dass ich ihm vertraute – im Gegenteil, ich war wütend, dass er mich in diese blöde Situation gebracht hatte –, aber nach der Machtdemonstration des Rektors erschien mir Ronan eindeutig als das kleinere von zwei Übeln.
Außerdem war er ein Mensch. Ich hoffte es zumindest.
Ronan trat vor, und die Menge wich zur Seite, als habe er die Pest. »Ja, Rektor?«
»Gehörte sie zu dir?« Mit der Fußspitze rollte der Rektor Mimi auf den Rücken. Ihre leuchtend blauen Augen starrten blind zum Himmel, und die Umrisse der beiden auf ihre Wange tätowierten Tränen hoben sich dunkel von ihrer Milchkaffee-Haut ab.
Unter dem halb geöffneten Parka kam der zerfetzte Bauch zum Vorschein. Ein Keuchen ging durch die Menge.
Ronan senkte den Kopf. »Ja, Rektor.«
»Ich sagte doch … keine Gesichts-Tätowierungen!« Der Vampir hielt den Kopf schräg und taxierte kühl Mimis Züge. »Sie wirken so … déclassé .« Sein Blick kehrte zu Ronan zurück. »Bring die Tote weg! Und sorge dafür, dass sie weiterverwertet wird.«
Mir blieb vor Entsetzen die Luft weg, als ich darüber nachsann, was das wohl zu bedeuten hatte.
»Sofort, Rektor.«
Zwei Jungs, die den gleichen Rang wie Ronan zu bekleiden schienen, erklommen das Podium. In aller Eile schafften sie den Leichnam fort und schrubbten das Blut von der Plattform.
Das war das Letzte, was wir von Mimi sahen.
Wir wandten unsere Aufmerksamkeit wieder dem Rektor zu. Keine von uns brachte einen Ton hervor. Er bedachte uns mit einem väterlichen Lächeln, das mir einen Schauer über den Rücken jagte. »Wo war ich vor diesem kleinen Denkzettel stehen geblieben?«
Väterlich. Das traf es genau. Wie alt mochte dieser Claude Fournier wohl sein?
Er musterte die Versammelten. Auf manchen ruhte sein Blick mit besonderem Wohlgefallen. »Die Mädchen, die diesmal den Weg hierhergefunden haben, sind eine Augenweide!«, rief er entzückt. »Und wie ich sehe, habe ich jetzt eure volle Aufmerksamkeit. Ihr seid etwas ganz Besonderes. Über die Maßen privilegiert. Ihr wurdet vor allen anderen erwählt. Euch bietet sich vor allen anderen die Chance, hier Aufnahme zu finden.«
Ich rieb mit den Händen über meine Oberarme, bis sie schmerzten. Will er uns etwa in Vampire verwandeln?
»Nein, nein, meine Schönen.« Er lachte leise, und ich war einem Panikanfall nahe, weil ich fürchtete, er habe meine Gedanken gelesen. Aber dann sah ich das Entsetzen in den weit aufgerissenen Augen der anderen Mädels, und mir dämmerte, dass sie alle den gleichen Schluss gezogen hatten.
»Ihr werdet nicht in Vampire verwandelt«, versicherte er uns. »Niemals. Das ist und bleibt Männern vorbehalten. Aber wir können nicht ohne euch überleben, meine Schönen. Seht ihr, nur ihr erhaltet die Gelegenheit, Teil einer Elitegruppe zu werden. Einer Gruppe, die das Überleben des ganzen Clans sichert. Die Mitglieder dieser Gruppe sind als die Wächter bekannt. Und trotz dieses Namens werden nur Frauen für diese Aufgabe berufen.«
Der letzte Satz klang, als sei dieses Wächter-Ding die allergrößte Ehre, die
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